Das Wispern der Schatten - Roman
Herzen des Reichs entfernt liegt. Doch immer noch war ich undankbar und trachtete in meinem Zorn danach, die Schuld allen um mich herum zuzuschieben. Mögen die Erlöser mir vergeben– ich habe ihren Namen damals vielfach missbraucht! Der heilige Azual sah sich gezwungen, mich aus Hyvans Kreuz zu verbannen, und nach mehreren anderen unerfreulichen Posten bin ich hier gelandet, am Rande der Wildnis. Meine Gedanken, Worte und Taten waren schuld daran, dass ich in Ungnade gefallen bin, und sie haben mich so weit wie nur irgend möglich vom heiligen Herzen fortgeführt. Ich bin fast schon zum Heiden geworden, so weit bin ich vom rechten Weg abgewichen– so verderbt bin ich. Warum bin ich hier draußen?«, fragte er und wandte sich mit weit aufgerissenen, starr blickenden Augen Jillan zu. » Ich habe mich selbst zu diesem Posten verurteilt! Jeder findet seinen rechten, angemessenen Platz in der Ordnung der Dinge, Jillan, und dies ist meiner. Letzten Endes fallen die Sterblichen stets sich selbst zum Opfer. Ich bin der Niedrigste der Niedrigen und muss nun die Tage, die mir noch bleiben, damit verbringen, diese bescheidene Pflicht nach besten Kräften zu verrichten, sonst kann ich genauso gut das Reich ganz verlassen, mich in den Bergen den Heiden anschließen und mich vollends dem hohlen Chaos hingeben.«
Jillan konnte sich nicht rühren, da der dräuende Held ihn zwischen den Zinnen festnagelte. Der Junge hatte sich schon so weit zurückgelehnt, wie er es wagte, und klammerte sich mit den Fingern verzweifelt an die Steine, um sich davor zu bewahren, dreißig Fuß tief in die Abfallgrube oder auf den Friedhof unterhalb der Mauer zu stürzen. Er wagte es nicht zu atmen, damit Samnirs wilder, gequälter Blick sich nicht plötzlich auf ihn richtete, statt durch ihn hindurchzusehen.
» Werde nicht wie ich«, flüsterte der Held. » Zu einem Gespenst, das im Wind heult, einem Wesen von so wenig Gehalt und Wert, dass sogar die Geister der Toten unter ihm seine Gesellschaft meiden und anderswo nach der Wärme des Lebens suchen. Versprich mir das!«
Jillan nickte und schluckte verängstigt. Seine Zustimmung schien den Soldaten zu beruhigen, denn er blinzelte mehrmals und kam dann wieder zu sich. » Tut mir leid, Junge. Ich wollte dir keinen Schrecken einjagen.«
Jillan rappelte sich auf und setzte die Füße wieder fest auf den Wehrgang. » Ich… ich mag dich immer noch, Samnir. Ich glaube nicht, dass du der Niedrigste der Niedrigen bist«, murmelte er und strafte seine Worte Lügen, indem er zur Treppe rannte.
» Sehen wir uns morgen?«, rief Samnir ihm nach. » Ich erzähle dir mehr von den Bergen, wenn du magst! Sie sind ein Bollwerk der Heiden und des Chaos. Sie sind ein so kalter und unwirtlicher Ort, dass sich noch nicht einmal die Heiligen allein bis dorthin vorwagen. Junge! Wenn du je meine Hilfe brauchst…«
Der Held sah dem Jungen nach. Dann richtete er den trostlosen Blick auf den Wald aus wippenden Tannen, der sich bis zu den fernen Bergen erstreckte. Ein eisiger Wind ließ ihm die Zähne klappern, und er kauerte sich in seiner Rüstung zusammen. Soweit er es beurteilen konnte, würde der Schneefall in den Bergen früh einsetzen, und das bedeutete einen langen, harten Winter, den nicht alle überleben würden. Die Ernte war gerade erst eingebracht worden. Was war aus dem Herbst geworden? So kurz und schon vorüber wie seine Jugend. » Der Junge soll verflucht sein! Er sorgt dafür, dass ich mich vergesse«, murmelte er.
Erschüttert rannte Jillan den ganzen Weg bis zur Schule. Bisher war heute alles auf den Kopf gestellt worden, und so konnte er es nicht abwarten, die vertrauten Gesichter seiner wenigen Freunde zu sehen und mithilfe des Unterrichts eine gewisse tröstliche Alltäglichkeit zurückzugewinnen.
Die anderen Kinder von Gottesgabe standen schon wartend vor den großen Eichentüren der Schule, die meisten dicht beieinander, um Schutz vor dem Wind zu finden, der über die Freifläche des Versammlungsplatzes im Stadtzentrum fegte.
» Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass du zu spät kommen würdest!«, sagte Hella mit einem Lächeln, bei dem sich Grübchen in ihren Wangen bildeten.
Schwer atmend nickte Jillan zur Antwort nur.
» Wonach stinkt es hier? Der Unrat riecht aber heute kräftig!«, sagte Haal, der Sohn des Ältesten Corin. Seine Freunde Karl und Silus kicherten.
Haal war kräftig gebaut wie sein Vater, aber während der Älteste Corin eine Art sanfter Riese war, nutzte Haal seine
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