Das Wispern der Schatten - Roman
entsandt wird, um alle zu den Erlösern zu ziehen, die volljährig werden. Dann wirst du ein Mann sein, und ich bringe dir bei zu jagen, aber es wird mehrere Jahre dauern, bis du so weit bist, dass du einen richtigen Langbogen führen kannst. Bis dahin musst du wohl oder übel irgendeine Arbeit verrichten, um deinen Teil zu unserer Gemeinschaft beizutragen… und die Frau zu versorgen, die du dir vielleicht erwählst.«
Jillan wurde rot und fand die Holzmaserung des Tisches plötzlich höchst interessant.
» Also lern ordentlich Lesen und Schreiben, dann bietet dir Jacob, der Händler, vielleicht irgendwann an, für ihn zu arbeiten. Er hat keinen Sohn, und sein Rücken ist mittlerweile so krumm, dass er seinen Karren nicht mehr allein beladen kann. Du hast doch immer gesagt, dass du gern andere Orte kennenlernen möchtest, statt hier draußen am wilden äußersten Rand des Reichs festzusitzen. Nun, der Händler kann dir die Gelegenheit bieten, auf Reisen zu gehen, denn wie du ja weißt, fährt er jeden Monat nach Erlöserparadies und baut dort am Markttag einen Stand für Gottesgabe auf.«
» Und Jacobs Tochter, Hella, ist ein vernünftiges Mädchen.« Maria lächelte. » Wie ich höre, hat sie ein Auge auf dich geworfen, das ein Herz auf vierzig Schritt trifft.«
Jillan errötete sogar noch heftiger als zuvor. » Ich gehe jetzt zur Schule!«, verkündete er hitzig und stand auf.
Jed erbarmte sich seiner. » Nun ärgere ihn doch nicht so, Maria. Es ist schon gut, Jillan, ein jegliches zu seiner Zeit. Und es ist deine Entscheidung– anders als andere Eltern werden wir nichts in die Wege leiten und nicht auf etwas beharren. In Ordnung?«
Jillan nickte. » Ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät. Ich muss meine Schiefertafel und meine Kreide für die Schule holen. Darf ich schon gehen?«
Jed zögerte und rang einen Moment lang mit sich. » Ja, wenn du mir sagst, warum du versucht hast, dich vor der Schule zu drücken.«
Jillan riss erschrocken die Augen auf.
» Jed, er ist doch ohnehin schon ganz verstört«, sagte Maria mahnend. » Es kann warten.«
Jed hielt den Blick weiter auf seinen Sohn gerichtet und senkte die Stimme zu einem Knurren. » Macht der Sohn des Ältesten Corin dir schon wieder Scherereien?«
» Nein, nein!«, wehrte Jillan ab. » Er ist bloß ein Einfaltspinsel. Ich habe keine Angst vor ihm.«
» Was ist es dann? Du weißt doch, dass du uns alles sagen kannst. Wir sind deine Eltern, und wir lieben dich.«
Jillan trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Er warf einen hilfesuchenden Blick zu seiner Mutter, aber sie beobachtete ihn nur mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugier. Am Ende konnte er sich nicht mehr zurückhalten und platzte heraus: » Der Prediger hasst mich! Er hat es ständig auf mich abgesehen, obwohl ich doch eigentlich nichts falsch gemacht habe. Aber sagt bitte, bitte nichts darüber, denn das würde alles nur noch schlimmer machen. Es sind ja nur noch sechs Monate. Ich schaffe das schon!«
Ein fürchterlicher Zorn trat in die Augen seines Vaters, ein Zorn, den Jillan noch nie zuvor gesehen hatte und der ihm mehr Angst machte als Prediger Praxis. » Ich wusste ja, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass diese Schlange es gut sein lässt!«
» Jillan!«, sagte Maria in scharfem Ton und verlangte so seine Aufmerksamkeit. » Hol deine Sachen und geh in die Schule. Sofort! Ich muss mit deinem Vater reden. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut.« Mit lodernden Augen wandte sie sich seinem Vater zu.
Jillan floh aus dem Zimmer. Sein Herz pochte heftig, und das Blut rauschte ihm in den Ohren. Er schnappte sich Schiefertafel und Kreide und nahm dann einen seiner besonderen Steine aus der Nische in der Mauer seiner Schlafkammer. Er hatte schon begonnen, seltsam gefärbte und sonderbar geformte Steine zu sammeln, als er noch klein genug gewesen war zu glauben, dass sie eine besondere Bedeutung und magische Eigenschaften hätten, aber mittlerweile wusste er, dass sein Vater ihm nur dann Steine mitbrachte, wenn es den Jägern nicht gelungen war, genug Kaninchen für die Kochtöpfe aller Familien zu fangen. Dennoch schob er sich heute den glatten roten Kiesel, den er mit Tapferkeit in Verbindung brachte, in die Tasche.
Jillan lief zurück durch die kleine Küche und die Essecke des Häuschens, wobei er es kaum wagte, einen verstohlenen Blick auf seine Eltern zu werfen, und dann hinaus ins Licht. Die Stimme seiner Mutter drang ihm in die Ohren.
» …und wenn
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