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Das Wispern der Schatten - Roman

Das Wispern der Schatten - Roman

Titel: Das Wispern der Schatten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam J Dalton
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mich zu gut. Darum kann ich auch nie mit einem der anderen Helden Karten spielen.«
    » Bist du deshalb immer allein hier draußen?«, fragte Jillan gedankenlos.
    Der Held verstärkte seinen Griff um den Schaft seines Speers, bis einige seiner Fingerknöchel knackten. Er wandte das Gesicht schnell wieder dem Friedhof und dem Wald zu. Sein Tonfall wurde kalt. » Du nimmst dir zu viel heraus, Junge! Ich schulde dir keine Antworten. Mach, dass du in die Schule kommst. Ich will nicht, dass der Prediger mir vorhält, dass ich dich vom Lernen abgehalten hätte.«
    Jillan ließ den Kopf hängen. Samnir hatte immer anders als alle anderen gewirkt, weniger voreingenommen, weniger ablehnend. Der Held hatte die Welt gesehen und hatte vor nichts Angst, nicht einmal davor, in einem Gewitter allein Wache zu halten. Ein paar Jahre lang hatte Jillan davon geträumt, ganz wie Samnir ein Held zu werden– mit wettergegerbtem Gesicht und steinharten Muskeln–, bis er dann erfahren hatte, dass Helden nie eigene Familien haben durften, damit ihre Bereitschaft, ihre Pflicht zu tun, nicht von Gefühlen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dennoch hatten sie im Laufe der Jahre viele Stunden miteinander verbracht, ob nun in freundschaftlichem Schweigen oder mit Gesprächen über andere Gemeinden, Bäume, Tiere und alle möglichen Dinge, die Samnir gesehen hatte– allerdings hatten sie, wie Jillan nun bewusst wurde, nie darüber gesprochen, warum Samnir freiwillig allein hier draußen wachte. Bis jetzt hatte Jillan sich in Samnirs Gesellschaft immer sicher gefühlt, und die Welt war ihm jedes Mal, wenn er mit ihm gesprochen hatte, ein wenig durchschaubarer erschienen.
    Aber heute war etwas anders. Etwas war schiefgegangen. Erst war es ihm gelungen, einen Streit zwischen seinen Eltern heraufzubeschwören, und jetzt hatte er Samnir erzürnt. Vielleicht hatte er sich etwas vorgemacht, wenn er angenommen hatte, dass er und Samnir Freunde wären. Was konnten ein dreizehnjähriger Junge und ein grauhaariger Krieger schon miteinander gemein haben? Samnir war bisher offenbar nur nachsichtig mit ihm gewesen oder freundlich, weil ihm der Junge aus der Südstadt leidtat. Verärgert über sich selbst und entschlossen, dem Helden nie wieder lästig zu fallen, rückte Jillan auf seinem Sitz weiter und setzte dazu an, hinabzuspringen und zur Treppe zu laufen. Je eher er in die Schule kam, sechs weitere Monate des Lernens hinter sich brachte und vom Heiligen zu den Erlösern gezogen wurde, desto besser.
    Doch zu Jillans Erstaunen sagte Samnir, der ihm immer noch den Rücken zugewandt hielt, leise: » Warte.« Ein Seufzen. » Warum bin ich hier draußen und führe den Befehl über nichts als den Wind, obwohl ich einst in der Armee des Reichs Männer befehligt habe? Warum lebe ich im abgelegensten Winkel des Reichs, obwohl ich früher Seite an Seite mit den Heiligen gegen die Barbaren in der östlichen Wüste ins Feld gezogen bin? Warum führe ich jetzt nur noch die Aufsicht über einen Friedhof voll staubiger Knochen, obwohl ich doch einst den Tempel des Großen Erlösers selbst bewacht habe?« Er hielt inne. » Weil ich wie alle anderen Menschen bin, Jillan. Einst dachte ich, dass ich besser als jeder andere Sterbliche wäre und dass meine Nähe zum heiligen Herzen des Reichs mich zu etwas Besonderem machte– zu etwas Bedeutenderem. Ich weigerte mich, das Gegenteil einzusehen, selbst als meine Gelenke begannen, jeden Morgen beim Aufstehen von meiner Pritsche zu schmerzen, und als die Last meiner Rüstung mir die Schultern niederdrückte. Ich begann, jüngere und fähigere Männer als Bedrohung zu sehen und Dinge zu sagen und zu tun, um ihnen Steine in den Weg zu legen, selbst wenn es nicht dem Wohl des Reichs diente. Ich stellte meinen Hochmut und meine Eigensucht über den Willen der Erlöser, obwohl ich ihnen doch so viel verdankte. Aber die Erlöser sind allwissend und sahen die Ketzerei in meinem Herzen. Ich wurde aufgefordert, mich zurückzuziehen, und als ich mich weigerte, wurde ich aus dem heiligen Tempelbezirk verbannt, sodass es mir fortan verwehrt war, die Geheiligten zu sehen und zu hören. Ich war ihrer Gegenwart nicht würdig, verstehst du? Sogar danach wurde mir noch eine Gelegenheit zugestanden, alles wiedergutzumachen, denn die Erlöser sind selbst dann gnädig, wenn sie Übeltäter strafen. Ich erhielt den Befehl über die Helden auf den Mauern von Hyvans Kreuz, einer großen Gemeinde, die nicht weiter als einen Wochenmarsch vom heiligen

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