Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
Andrew Abbott
Wissen zwischen Elitismus und Demokratie
1. Einleitung
Auch wenn man bei der Interpretation des modernen Wissens von extrem hochfliegenden Idealvorstellungen ausgeht, muß man dieses Wissen als etwas durch und durch Elitäres ansehen. Im Rahmen des Bildes, das wir uns im Alltag vom Wissen machen, gibt es richtige und falsche Antworten, richtige und falsche Methoden, richtige und falsche Theorien. Freilich, was als richtig und was als falsch gilt, unterliegt langsamen, aber stetigen Wandlungsprozessen, die mit den Veränderungen im Bereich der Entdeckungen und der Paradigmen einhergehen. Aber die Gemeinschaften, die wir als Fächer oder Disziplinen bezeichnen – die wir nicht nur beschreiben, sondern selbst konstituieren –, kennen zu jeder gegebenen Zeit einen lockeren Konsens. Es handelt sich zweifellos um unverhohlen elitäre Gemeinschaften.
Wie ließe sich dieser Elitismus mit dem Ideal der Demokratie vereinbaren, das die meisten von uns ja ebenfalls hochhalten? Mit dem modernen Wissen in seiner uns bekannten Gestalt verhält es sich ähnlich wie mit der sogenannten Demokratie im alten Athen: Hier driftet ein dünner Streifen Treibgut aus hochgesinnten öffentlichen Debatten und Auseinandersetzungen auf einem unermeßlichen Meer von Wissensdespotismus. Vielleicht läßt sich mein Rätsel jetzt anders formulieren: Können wir uns eine Wissenswelt vorstellen, in der allen Formen des Wissens in einem gewissen Sinne die gleiche Achtung zuteil wird, in der wir es jedoch nach wie vor mit dem prächtigen und sich ständig wandelnden Gewebe zu tun hätten, das durch das elitäre Wissen für uns geknüpft worden ist?
Manche würden nun einwenden, diese Elitismusthese sei übertrieben. Schließlich habe es eine Reihe von Amateuren gegeben, die viel zum Wissen beigesteuert haben: Darwin, Peirce und Marx waren insofern Amateure, als sie nicht von der wissenschaftlichen Arbeit, für die sie bekannt sind, gelebt haben. Doch die moderne professionelle Geschichtsschreibung verleugnet dieses Amateurhafte, während sie es zugleich zu retten beansprucht. Steven Shapin zum Beispiel behauptet in seinem vortrefflichen Buch A Social History of Truth , 1 in puncto Gesinnung sei der Aufbau der Wissenschaft – sowohl was seinen Ursprung als auch was seine heutige Wirkung betreffe – ein Amateurprodukt. Aber daß wir auf diese Weise an unsere Amateurwurzeln erinnert werden, hat nur unter der Voraussetzung Sinn, daß unsere Gegenwart (wie wir alle wissen) in hohem Maße professionalisiert ist. In der Tat richtet sich Shapins Buch offensichtlich nicht an ein Publikum von Amateuren. Es enthält Hunderte von Fußnoten und Tausende von Verweisen, die in keinem Sinne als demokratisch gelten können, sondern zum elitären Rüstzeug der modernen Forschung gehören. In diesem enorm umfangreichen und auf einen bestimmten Stil getrimmten Buch, das außerhalb der passionierten Fachkreise niemanden anspricht, werden neben der brillanten zusammenfassenden Darstellung von Ereignissen, die sich vor 400 Jahren abgespielt haben, obskure Benimmhandbücher des 17 . Jahrhunderts behandelt sowie theoretische Einlassungen heutiger Kollegen, Entlehnungen aus diversen Fächern, Aufzeichnungen von Robert Boyle, philosophische Meditationen, innerelitäre Polemiken; und hinzu kommen Anmerkungen zu Fragen, die vom Verhalten bestimmter Personen bis hin zum Mäzenatentum Jean-Baptiste Colberts reichen.
Ein in höherem Maße elitäres Buch kann man sich kaum vorstellen. Gewiß, es gibt etliche Amateure, die über Boyles Leben, die Philosophie des 17 . Jahrhunderts und sonstige Themen gearbeitet haben. Aber sie fügen ihre akribischen Kenntnisse lokaler Realien nicht in die allgemeinen Gedankengänge ein, die das einzige sind, was von den Forschern der Eliten als lohnend angesehen wird. Aus der Sicht dieser Forscher sind die Amateure »kleinkarierte« Leute, die vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Daher behandelt man sie von oben herab. Die moderne Wissenswelt wird dermaßen von Eliten gesteuert, daß (wie das Beispiel Shapin zeigt) sogar die Bücher, die zeigen sollen, daß diese These nicht zutrifft, die Wahrheit der These voraussetzen.
Kurz, es besteht hier ein Konflikt zwischen dem normativen Aufbau des modernen Wissens und dem, was wir als den normativen Aufbau der Demokratie ansehen. Daß sich unsere Definitionen des »guten« Wissens von Epoche zu Epoche wandeln, bedeutet nicht, daß Hierarchiebildung und Ausgrenzung je eine geringere
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