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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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den Weg. Eine halbe Stunde später trank er seinen ersten Rotwein. Es war kurz vor sechs Uhr, und im Bistro herrschte Hochbetrieb. Er saß an einem kleinen Tisch in der Ecke, von dem aus er den ganzen Raum gut im Blick hatte. Die wenigen Gäste, die, auf der Suche nach einem freien Platz, an seinen Tisch traten, verscheuchte er umgehend mit einem Kopfschütteln und einem bedauernden Gesichtsausdruck.
    Dies war also das Lokal, das Viktor Vau seit vielen Jahren täglich aufsuchte. Fitzsimmons war nicht so naiv anzunehmen, dass sich Vau jemals wieder hier blicken lassen würde. Ihn interessierten vielmehr die anderen Gäste und das Personal. Denn wenn jemand Jahr um Jahr in demselben Lokal verkehrte, dann war anzunehmen, dass man ihn kannte. Wie gut, das war eine andere Frage. Aber Fitzsimmons wusste, dass gerade Einzelgänger oft an solchen Orten zumindest rudimentäre menschliche Beziehungen aufbauten.
    Er beobachtete den Barista und die beiden Kellner, die alle Hände voll zu tun hatten. Zwei davon waren seiner Einschätzung nach zu jung, um von Vau als Gesprächspartner ernst genommen worden zu sein. Der ältere Kellner hingegen, der das Kommando zu führen schien, war eine andere Sache. Fitzsimmons zog sein Mobiltelefon hervor und wählte die Nummer seines Büros. Wenige Minuten später hatte er die Informationen, die er benötigte.
    Der ältere Kellner hieß Christian Sonntag, der jüngere Enrique da Soza. Sonntag war ein unbeschriebenes Blatt. Da Soza war erst ein Jahr zuvor in der Stadt aufgetaucht, besaß aber alle erforderlichen Papiere.
    Fitzsimmons nickte zufrieden. Er wartete, bis der ältere Kellner wieder in der Nähe war, und winkte ihn zu sich an den Tisch.
    Â»Bringen Sie mir bitte noch ein Glas Ihres hervorragenden Weins«, sagte er. »Und für sich bitte auch. Ich möchte Sie auf einen kleinen Plausch einladen.«
    Der Kellner lächelte höflich. »Das ist leider nicht möglich, mein Herr. Während der Arbeitszeit ist uns das Trinken strikt untersagt.« Er machte eine Armbewegung. »Und Sie sehen ja auch, was im Augenblick los ist.«
    Fitzsimmons hatte mit einer solchen Antwort gerechnet. Sein Pflichtbewusstsein sprach für den Mann. Genau das, was er brauchte. Er zog seinen Ausweis hervor und legte ihn auf den Tisch. »Wenn ich Sie einlade, mein Freund, dann dürfen Sie alles. Und wenn Ihr Chef Einwände hat, dann schicken Sie ihn einfach zu mir.«
    Sonntag nahm den Ausweis auf und studierte ihn. »Sicherheitsdienst?«, fragte er blinzelnd. »Warum wollen Sie denn mit mir reden?«
    Â»Das erkläre ich Ihnen, wenn Sie Ihren Wein geholt haben.« Fitzsimmons nahm ihm den Ausweis aus der Hand und steckte ihn wieder ein. Zögernd entfernte sich der Kellner. Er wechselte ein paar Worte mit seinem jüngeren Kollegen und dem Barista und kam dann mit einem vollen und einem halb gefüllten Rotweinglas in den Händen zurück.
    Fitzsimmons nahm genüsslich einen Schluck und lehnte sich zurück. Sonntag war nervös, auch das eine gesunde Reaktion. Er hätte sich Gedanken gemacht, wenn es anders gewesen wäre. Er wartete noch einen Augenblick, bevor er sich zu seinem Gegenüber vorbeugte.
    Â»Sie fragen sich zu Recht, warum ich Sie sprechen wollte«, begann er. »Nun, es geht weniger um Sie als um einen Ihrer Kunden, Professor Vau.«
    Sonntag riss die Augen auf. »Ist ihm etwas zugestoßen?«
    Â»Haben Sie Anlass zu einer solchen Vermutung?« Antworte immer mit einer Gegenfrage, das war eine alte Regel bei Verhören. Dies war zwar, streng genommen, kein Verhör, aber die Methode funktionierte trotzdem.
    Â»Nun … nein …«, stammelte Sonntag. Fitzsimmons sah ihm an, dass er nicht die Wahrheit sagte. Dafür entwickelte man nach so vielen Jahren in seinem Beruf einen siebten Sinn.
    Â»Kommen Sie, Christian – ich darf doch Christian sagen? –, Sie können mir die Wahrheit sagen. Ich bin ebenso an Professor Vaus Wohlergehen interessiert wie Sie.«
    Der Kellner zögerte. Nervös strichen seine Finger am Stiel des Weinglases entlang. Fitzsimmons fiel auf, dass er noch keinen Schluck getrunken hatte.
    Â»Sie müssen wissen, dass ich Professor Vau kürzlich in Afrika getroffen habe«, erklärte er. »Wir haben dort zusammengearbeitet. Dann muss etwas Schreckliches geschehen sein, vor dem der Professor geflüchtet ist. Wir wissen

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