Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
hatte man Mondkind auf Schichten aus Drachenhaut gelegt, oben auf die ebene Fläche eines Felshöckers. Sie lag auf dem Rücken, die Arme an den Seiten ausgestreckt. Ihr Haar floss um ihr herzförmiges, bleiches Gesicht wie ein nachtschwarzer Schleier.
Ein einzelner Drache hielt vor dem Durchgang zur Höhle Wache; sein Glanz umrahmte die kantige Öffnung von außen wie ein verzogenes Feurrad. Der Drache selbst war aus der Grotte heraus nicht zu sehen. Angeblich gab es noch andere Wesen in den Dongtian, gefährliche Wesen in den Tiefen, obgleich Nugua noch keinem begegnet war. Yaozi hatte den Wächter zu Mondkinds Sicherheit abgestellt, auch wenn es sich nur um einen jungen und ziemlich kleinen Angehörigen seiner Rasse handelte - gerade einmal dreißig Meter lang. Keiner der ausgewachsenen Drachen war entbehrlich; sie alle waren mit jener Aufgabe beschäftigt, die die Drachenkönige und ihre Clans hierher, in die Unterwelt der Himmelsberge geführt hatte.
Niccolo saß mit gesenktem Kopf auf der Felskante von Mondkinds Lager und hielt ihre Hand. Niemand hatte ernsthaft in Erwägung gezogen, ihr die weißen Gewänder auszuziehen. Mondkinds magische Seide war kein gewöhnliches Gewebe. Sie gehorchte ihr, war zugleich Waffe und Schutzschild. Obwohl der Heilschlaf bewirkte, dass die Wunde in Mondkinds Seite nicht mehr blutete, erfüllte auch die Seide weiterhin ihren Zweck; sie polsterte die Stelle ab wie ein Verband und schob sich dann und wann in frischen schneeweißen Lagen über den zerbrechliehen Körper ihrer Herrin - wie die Haut einer Schlange, die sich in regelmäßigen Abständen erneuerte.
»Wie geht es ihr?«, fragte Nugua unbehaglich. Sie hatte eine ganze Weile schweigend dagestanden und darauf gewartet, dass Niccolo auf ihre Anwesenheit reagierte. Er musste sie längst bemerkt haben.
»Keine Veränderung«, gab er wortkarg zurück.
Seit ihrem Streit auf dem Gipfel war ein halber Tag vergangen. Nugua hatte lange gezögert, abermals zu ihm zu gehen. Dass sie sich schließlich doch dazu entschlossen hatte, verwirrte sie selbst; vermutlich lag es an der Einsamkeit in diesen Höhlen. Dabei fand sie nach wie vor, dass er allen Grund hatte, sich bei ihr zu entschuldigen. Dennoch nahm sie den Anschein einer Niederlage in Kauf, nur um nicht allein zu sein. Es war verrückt - monatelang hatte sie sich nach den Drachen gesehnt, ihrem Clan, ihrer Familie. Und nun, da sie sie wiedergefunden hatte, fühlte sie sich unter ihnen unwohl. Etwas in ihr hatte sich grundlegend verändert.
Früher hatte sie sich selbst für einen Drachen gehalten, nicht äußerlich, aber doch im Inneren. Aber die Wochen an Niccolos Seite hatten sie viel Neues über sich gelehrt. Und heute, am Ziel ihrer Odyssee, suchte sie die Nähe des einzigen Menschen weit und breit, ausgerechnet jenes Menschen, der sie regelmäßig zur Weißglut brachte und den sie - weil er es doch, verdammt noch mal, verdient hatte! - erst vor ein paar Stunden mitten ins Gesicht geschlagen hatte.
Sie durchquerte die Grotte und stieg den Felssockel empor, auf dem Mondkind im Goldglanz der Drachenschuppen ruhte. Niccolo sah noch immer nicht von der Schlafenden auf und man hätte meinen können, dass er andächtig in den Anblick ihrer Züge versunken wäre.
Er betet sie an, schoss es ihr durch den Kopf. Sie liegt dort oben wie auf einem verdammten Altar, und er hat nichts Besseres zu tun, als sie anzuhimmeln.
Plötzlich wandte er seinen Kopf und blickte Nugua entgegen. Deutlich sah sie die dunklen Schatten unter seinen Augen, die Furchen auf seiner Stirn, die aufgebissene Unterlippe. Ihre Wut auf ihn verflog schlagartig.
»Es war ein Fehler hierherzukommen«, sagte er niedergeschlagen. »Mondkind und ich haben geglaubt, die Heiligen Grotten wären sicher vor dem Aether. Dabei sind die Dongtian voll von Drachen, die den Aether in die Grotten hineinholen.« Zärtlich strich er eine Strähne zurück, die sich aus Mondkinds Haarflut gelöst hatte.
Die Drachen waren ein großes Risiko eingegangen, indem sie hierhergekommen waren. Nur sie konnten den Aether von dem, was unter diesen Bergen begraben lag, fernhalten. Gleichzeitig aber brachten sie ihn mit sich, allein dadurch, dass sie atmeten. Der Aether war längst hier, auch in dieser Höhle, überall um sie herum. Manchmal erkannte man ihn als feinen schwebenden Goldstaub, je nachdem, wie das Licht ihn beschien; die meiste Zeit jedoch war er nicht zu sehen, nicht zu riechen, nicht zu schmecken. Ein Gegner, leichter als
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