Das zarte Gift des Morgens
aus einer Petersburger Firma, die Ausflugsschiffe und Rennjachten entwarf und baute. Die Petersburger hatten ein geheimnisvolles Testmodell nach Sotschi mitgebracht, das sie im Meer unter extremen Bedingungen erproben wollten.
Das Modell wurde in auseinander genommenem Zustand in einem LKW-Anhänger auf dem Hotelparkplatz aufbewahrt. Meschtscherski brannte vor Begeisterung und erzählte allen, sein Reisebüro »Moskauer Geographischer Klub« werde mit den Petersburger Kollegen einen langfristigen Vertrag abschließen, wenn die ersten Tests erfolgreich wären (das heißt, wenn das Modell nicht sofort unterging – so verstand ihn jedenfalls Katja).
Doch wie sie feststellen musste, hatten die Schiffsbauer keine besondere Eile, ihr Modell in den Wellen des Schwarzen Meeres zu testen. Hauptsächlich badeten sie, lagen am Strand in der Sonne, spielten Preference und Billard oder saßen in der Bar. Ihr Anführer war ein zwei Meter langer Lulatsch namens Pawlik Dubow. Immer wenn er mit Katja auf der Sommerterrasse des kleinen Restaurants »Poseidon« tanzte, raunte er ihr verschwörerisch ins Ohr, er habe nur ein Ziel im Leben – Kapitän einer Jacht zu werden, und dafür suche er noch eine Frau, die Mumm genug habe, die Freundin »eines echten Piraten« zu werden.
Katja stellte beunruhigt fest, dass ihr Mann, der bei seiner Ankunft in Sotschi noch ein ganz durchschnittlicher, stinkfauler, launischer Moskauer Urlauber gewesen war, sich in dieser Seeräuberatmosphäre zusehends veränderte und sich immer mehr für das ganze undurchsichtige Meeresbrimborium begeisterte.
Mit schwerem Herzen fuhr sie aus Sotschi zurück nach Moskau. Was sie am meisten ängstigte, war die Vorstellung, die Männer könnten in betrunkenem Zustand ihr experimentelles Modell zusammenbauen und unter dem Kommando von Kapitän Dubow allesamt aufs offene Meer hinausfahren -und sie, Katja, wäre nicht in der Nähe, um rechtzeitig die Küstenwache zu alarmieren oder am besten gleich das Schiffsgeschwader, das auf der Reede ankerte und die Ruhe des Staatsoberhauptes bewachte.
»Warum guckst du so trübsinnig, Katja, als ob du Zahnschmerzen hättest?«, fragte Wadim, als er und Sergej sie zum Flughafen brachten. »In zwei Wochen bin ich ja auch wieder zu Hause. Na, ist es denn so schrecklich ohne mich?«
»Dass ihr mir ja nicht sauft wie die Löcher«, antwortete Katja düster. »Sergej, bitte kauf ihm noch heute einen Rettungsring!«
»Ich schwimme wie ein Weltmeister«, plusterte Wadim sich beleidigt auf. »Schade, dass du nicht hier bleibst, sonst könntest du mich und Pawel um die Wette schwimmen sehen, die ganze Strecke bis Dagomys und zurück!«
»Hörst du, Sergej, ich spreche mit dir!« Katja zupfte Meschtscherski am Hemd und ignorierte die Prahlereien ihres Mannes. »Ich verlasse mich ganz auf dich, gib bitte Acht auf Wadim!«
Aber ihr Jugendfreund war schon nicht mehr ganz nüchtern, lächelte auf alle Bitten Katjas arglos und nickte nur immer wie ein chinesischer Götze mit dem Kopf.
Moskau empfing Katja mit ätzendem Smog und Brandgeruch. Gleich am ersten Abend hörte sie in den Fernsehnachrichten, dass im Bezirk Lasarewskoje ein Tornado gewütet und die gesamte Küstenregion überschwemmt hatte. In Panik versuchte sie die ganze Nacht, Krawtschenko anzurufen, konnte ihn aber nicht erreichen.
Schließlich meldete ihr Mann sich unter seiner Handynummer, und an seiner forschen, etwas heiseren Stimme und noch mehr an seinen erstaunten Worten: »Wa-was für ein T-tornado, wo, hier bei uns? Sergej u-und ich ha-haben nichts davon gesehen!«, merkte sie, dass sie mit ihrer Rückkehr nach Moskau besser noch gewartet hätte. Aber jetzt konnte sie daran nichts mehr ändern. Wenn den beiden in ihrem Junggesellenparadies nicht einmal ein Wirbelsturm auffiel, dann, so urteilte sie völlig zu Recht, brauchte sie sich über andere Dinge auch keine Sorgen zu machen. Betrunkenen reicht das Meer bekanntlich nur bis zu den Knien.
Am Samstag war sie aus Sotschi zurückgekommen. Den ganzen Sonntag räumte sie auf und rückte dem Staub in der Wohnung zu Leibe. Am Montag ging sie mit innerem Widerstreben zur Arbeit.
Die vertraute Nikitski-Straße, in der sich das Polizeipräsidium befand, war seit dem frühen Morgen in dichten Nebel gehüllt, und Katja musste sich den Weg zum Eingang fast blind ertasten. Der Posten am Kontrollpunkt hätte am liebsten eine Gasmaske aufgesetzt und das nur deshalb unterlassen, weil er fürchtete, seine Vorgesetzten zu
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