Das Zauberer Handbuch
zum Olymp unter Beweis zu stellen.
Überall begegnen sie uns, die Helden klassischen Zuschnitts, die aus ihrem herkömmlichen Umfeld treten (oder auch nicht selten getreten werden) und sich einer neuen, größeren Aufgabe stellen müssen, an deren Ende nicht nur die Erfüllung ihrer Mission und der Triumph über den Gegner, sondern auch die eigene Erneuerung steht. Das klingt jetzt etwas überhöht, aber was ich meine, ist: der Held ist nach seinem Abenteuer nicht mehr der gleiche wie zuvor.
Der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell hat diese legendäre »Reise des Helden« zum Gegenstand seiner Forschungen erhoben und anhand struktureller wie inhaltlicher Vergleiche zahlreiche Übereinstimmungen in den Mythen dieser Welt gefunden. Seine Schriften haben nicht nur George Lucas maßgeblich beeinflusst, als dieser in den frühen 70er-Jahren über dem Drehbuch zu einem unbedeutenden kleinen Film brütete, der später den Namen STAR WARS erhalten sollte, sondern sind, nicht zuletzt dank der Arbeit Christopher Voglers, der Campbells Forschungen auf die Praxis des Drehbuchschreibens bezogen und damit ein Standardwerk geschaffen hat, bis heute gängige Arbeitsgrundlage vieler Autoren. Letztendlich waren es aber die Mythen der Menschheit, die diese Regeln klassischen Erzählens hervorgebracht und über Jahrtausende hinweg geformt haben.
Wenn diese Geschichten jedoch offenbar überall auf der Welt, unabhängig von unserem politischen, kulturellen oder religiösen Hintergrund, als ansprechend empfunden werden, muss dies bedeuten, dass es eine Art kollektive Lust aufs Abenteuer gibt, ein gemeinsames Schicksal, an das wir Menschen gebunden sind und das dafür sorgt, dass wir gar nicht anders können, als uns mit jenen zu identifizieren, die den schützenden heimischen Hort verlassen und sich auf die Suche nach dem Feuer, dem Fortschritt zu begeben. Genau diese Mythen sind es, aus denen sich die Fantasy als der moderne Nachfolger jener alten Geschichten, jener Sagen und Märchen nährt, und das ist auch der Grund dafür, warum sie stärker als jedes andere Genre auf diese Archetypen des Erzählens Bezug nimmt.
Wer Fantasy schreibt, begibt sich also an diese Quelle der Inspiration, zum Urgrund all dessen, weswegen Menschen jemals Geschichten erzählt haben. Denn obwohl es oftmals um Magie und übernatürliche Dinge gehen mag, obschon die Abenteuer unserer Helden in fernen Ländern, zauberischen Welten oder in grauer Vorzeit spielen, und obwohl diese Welten von Kreaturen bevölkert sind, die es in der wirklichen Welt nicht gibt, geht es letzten Endes stets um tief greifende menschliche Erfahrungen – um Liebe und Hass, Sünde und Sühne, Tod und Erneuerung. DER HERR DER RINGE ist nicht deshalb ein Meisterwerk, weil er in einer fernen, dem Hier und Jetzt entrückten Welt angesiedelt ist, sondern weil es ihm gelingt, Mittelerde zu einem Ort zeitloser Relevanz zu machen, an dem Dinge geschehen, die für uns alle nachvollziehbar sind. Und HARRY POTTER war nicht deshalb ein solcher Erfolg, weil die Handlung so umwerfend neu gewesen wäre, sondern weil es J.K. Rowling gelang, die grundlegenden Erfahrungen des Erwachsenwerdens mit einer Portion Magie zu versehen und das Ganze auch noch spannend zu erzählen.
Insofern ist auch der Vorwurf des Eskapismus, der der Fantasy vonseiten »seriöser« Kritiker oftmals gemacht wird – also der Wirklichkeitsflucht in fiktive Welten –, nicht so einfach zu halten. Indem sie das Phantastische dazu nutzt, ihre Protagonisten auf eine Reise menschlicher Grunderfahrungen zu schicken, handelt die Fantasy allen Unkenrufen zum Trotz von sehr realen Dingen. Ähnlich wie im verwandten Genre der Science Fiction, wo ein erdachtes Szenario genutzt wird, um bestehende technische, wissenschaftliche oder gesellschaftliche Verhältnisse weiterzudenken und dadurch nicht selten als Irrweg zu entlarven, nutzt die Fantasy das Phantastische, um die menschlichen Eigenschaften ihrer Helden nur umso deutlicher und unverfälschter herauszustellen. Ein Held, der gegen einen Feuer speienden Drachen antritt, führt den alten Überlebenskampf der Menschheit gegen die zerstörerischen Kräfte der Natur; und wenn Luke Skywalker am Ende von DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK Darth Vader zum Lichtschwert-Duell gegenübertritt, stellt er sich damit letztlich seinen ureigensten Ängsten.
Darüber hinaus bietet gerade das phantastische Element natürlich auch die Möglichkeit, aktuelle Zeitgeschehnisse auf
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