Das Zauberer Handbuch
geschickte Weise zu kommentieren – schon der griechische Dichter Aesop hat das getan, indem er in seinen Fabeln Tiere sprechen ließ und auf diese Weise die Mächtigen kritisierte. Während eines Aufenthalts in den Niederlanden, wo ich die holländische Ausgabe von DIE ZAUBERER vorstellte, wurde ich beispielsweise wiederholt gefragt, ob der doch recht bürokratisch und schwerfällig agierende Rat der Zauberer von Shakara eine Anspielung auf die Europäische Union und das Europäische Parlament seien; ich musste dies zwar verneinen, da ich mir tatsächlich mehr das glücklose Parlament der Weimarer Republik zum Vorbild genommen hatte, jedoch wird deutlich, dass die Fantasy durchaus das Potenzial zur zeitgeschichtlichen Anspielung und sogar zum kritischen Kommentar hat. Auch unter diesem Aspekt birgt sie so mehr innere Wahrheit als so manches andere als »realistisch« gerühmte Genre.
Dies wussten – natürlich – auch die Schriftsteller der Romantik mit ihrer Schwäche für alles Mittelalterliche und Mystische. Mehr und mehr bezogen sie das Phantastische in ihre Erzählungen ein und leisteten damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der modernen Fantasy. Auch der große J.R.R. Tolkien, der DER HERR DER RINGE schrieb und damit zumindest das Genre der High Fantasy begründet hat, war letztlich auf der Suche nach einer Art mythischem Realismus, wie David Day in seinem Buch TOLKIENS WELT einleuchtend analysiert: Tolkien, der bekanntlich Professor für angelsächsische Literatur in Oxford gewesen ist, ging es darum, eine Art »Urmythos« zu schaffen, also eine Sage, die aus vorgeschichtlicher Zeit stammen und aus der sich alle anderen Mythen des keltischen bzw. nordischen Kulturkreises entwickelt haben könnten. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat er viele der verwendeten Motive und Namen (übrigens auch die Orks, die als orcneas in der BEOWULF-Sage auftauchen) aus alten Sagen übernommen und sie in einen neuen inhaltlichen Zusammenhang gebracht. Und nicht von ungefähr war er enttäuscht darüber, dass manche Leser Mittelerde in einer anderen Dimension oder gar auf einem anderen Planeten verorteten, ist Tolkiens Welt doch eine deutliche geografische Metapher auf die europäische Kulturgeschichte.
Tolkien konnte natürlich nicht ahnen, dass sein literarisches Werk am Anfang einer im wahrsten Wortsinn sagenhaften Erfolgsgeschichte stehen und nachfolgende (Autoren-)Generationen nicht weniger inspirieren sollte als das Nibelungenlied oder die Artussage. Aber genau das ist geschehen – und wer in Sachen Fantasy tätig ist und behauptet, von Tolkiens Werk in keiner Weise beeinflusst zu sein, der ist wohl nicht ganz aufrichtig. Denn ganz gleich, ob man DER HERR DER RINGE liebt oder hasst, ob man es schon beim ersten Mal geschafft hat, sich durch die gewissen Längen des ersten Bandes zu wühlen oder ob man (wie ich) dafür drei Anläufe gebraucht hat; ob man wie mein geschätzter Autorenkollege Helmut Pesch fließend Elbisch spricht oder lediglich die Filme von Peter Jackson im Kino gesehen hat – wer Mittelerde einmal besucht hat, den lässt der Reiz dieser fiktiven und dennoch so wirklich anmutenden Welt so bald nicht wieder los.
Zahllose Autoren der 70er- und 80er-Jahre wurden maßgeblich davon inspiriert, die wiederum die heutigen Schriftsteller beeinflusst haben. In besonderem Maße gilt dies natürlich für die größtenteils aus unseren Breiten stammende (inoffizielle) Reihe der »Völker«-Romane, die einst mit Markus Heitz’ DIE ZWERGE begann und zu der ich mit der ZAUBERER-Trilogie und den ORKS ebenfalls ein paar illustre Gestalten beisteuern durfte.
Doch obwohl es sich hier einmal mehr um das klassische Figurenpersonal der High Fantasy handelt, hat jeder Autor seine eigene Perspektive auf die Charaktere entwickelt und ein eigenständiges Universum vorgelegt, was letztlich auch die Wandlungsfähigkeit und Flexibilität des Genres zeigt. Auf einer Lesung von DIE ZAUBERER musste ich mir von einem Zuhörer, der persönlich weniger mit Fantasy anfangen konnte und seiner Tochter zuliebe gekommen war, den Vorwurf gefallen lassen, in der Fantasy ginge es doch stets um dieselben Dinge und Themen. Ich fragte ihn daraufhin, welches Genre er denn bevorzuge, und er sagte mir, dass er am liebsten Krimis lese – worauf ich fragte, ob es nicht dort so sei, dass jemand ins Jenseits befördert würde und ein mehr oder minder gewitzter Kriminaler dann herauszufinden versuche, wer der Mörder gewesen
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