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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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unterwegs waren oder auf ihren Feldern arbeiteten, fasste der Sturm gnadenlos und fegte sie weg. Und die Armen in den Elendsvierteln – wohin sollten sie fliehen? Schlammlawinen begruben wacklige Hütten und ihre Bewohner unter sich, haushohe Wellen donnerten vom Meer heran und rissen Boote und Fischer mit, die sich an Land gerettet hatten. Dachziegel und Bäume und Menschen wurden in die Luft geschleudert, aufgesogen, zu Boden geschmettert, lebendig begraben, zermalmt, auf die offene See geschwemmt.
    Zwei Tage lang toste der Wind, krachten Trümmer donnernd zur Erde, brachen Häuser in sich zusammen und polterten Gesteinsmassen in die Tiefe. Dann kehrte eine unheimliche Stille ein, nur unterbrochen von schwachen Rufen und gedämpften Schreien von Überlebenden, vom Flüstern der Verstörten und Hinterbliebenen, dem Weinen von Kindern und dem schrillen Kläffen verwundeter Hunde. Die Menschen versuchten zu begreifen, was geschehen war. Die Lebenden gruben mit bloßen Händen, um an die Eingeschlossenen und Verletzten heranzukommen, ihre Familien und Nachbarn, während die Hilferufe unter den Trümmern der eingestürzten Häuser allmählich schwächer wurden. Die Rettungsdienste waren bemitleidenswert in ihrer Hilflosigkeit; sie hatten keinerlei schweres Räumgerät und keine Spürhunde. Von den verletzten Überlebenden hörte man nur die Schreie, sehen konnte man sie nicht, und viele derjenigen, die gefunden wurden, starben trotzdem, weil es nicht genug Medikamente, Nahrungsmittel und Decken gab.
    Es dauerte eine Woche, bis der Flughafen wieder geöffnet werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Gestank des Todes über allem ausgebreitet. Schließlich kamen auch die Rettungsmannschaften, nachdem das allgemeine Chaos und umständliche Formalitäten ihre Einreise zunächst verhindert hatten. Gleichzeitig tauchte die Weltpresse auf, und als die Hilfe allmählich anlief, hatten die Reporter keinen Mangel an Horrorgeschichten, mit denen sie ihre Appelle ausschmückten, die Opfer der Katastrophe zu unterstützen. Den hartgesotteneren unter den Korrespondenten, die mit der Region vertraut waren, war jedoch nur allzu klar, dass ein Großteil der Katastrophenhilfe auf private Konten in der Schweiz abgezweigt werden würde.
    Am neunten Tag gab es inmitten von Tod und Zerstörung eine einzige gute Nachricht. Bei einer letzten raschen Suche entlang der Küste hatte ein Schiff der Marine ein kleines Mädchen entdeckt, lebend und unverletzt. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte die Besatzung ihre Suche schon einstellen wollen, als sie ein Weinen hörte. Das Weinen hielt auch in der Nacht an, während die Matrosen mit ihren Scheinwerfern die Küste absuchten und mit dem Bug ihres Schiffes aufgedunsene Menschenleichen und Tierkadaver beiseiteschoben.
    Im Morgengrauen entdeckten sie schließlich, dass das Weinen von einem Fischerboot kam, das zwischen zersplitterten Baumstämmen und einem toten Maultier eingeklemmt war. Es sah leer aus, doch zwei junge Matrosen kletterten auf das Boot, um nachzusehen. Dann hörte man sie rufen. Sie fanden das Mädchen unter einem Knäuel von Fischernetzen. Sie waren so schwer, dass es sich nicht daraus hatte befreien können. Das Kind war vielleicht zwei oder drei Jahre alt und bis auf eine Kette mit einer Medaille, die mehrmals um seinen Hals geschlungen war, war es vollkommen nackt. Es schien kaum möglich, dass die Kleine weder an Unterkühlung gestorben noch in einer Welle ertrunken war, doch sie weinte und nuckelte an ihrer Faust.
    Die Geschichte von der kleinen Überlebenden tauchte kurz in der Presse auf, dazu gab es Fotos von dem Kind, dem Boot, der Medaille und den beiden grinsenden Matrosen. Doch Nachrichten sind kurzlebig und schon bald hatte sich die internationale Presse den nächsten Schlagzeilen zugewandt. Andernorts gab es Kriege und Scheidungen von Prominenten, über die es zu berichten galt. Das kleine Mädchen verschwand in einem nahe gelegenen Waisenhaus und lediglich ein Bündel vergilbender Zeitungsausschnitte zeugte noch von seiner Existenz.

    Im Schatten der Anden, Frühjahr 1984
    Ein Jahr nach dem Mano del Diablo bahnte sich ein klappri ges Gefährt mit der Aufschrift »Taxi« einen Weg durch die Gassen des ältesten Teils der alten Provinzhauptstadt, in der noch längst nicht alle Spuren der Katastrophe beseitigt waren. Schließlich wurden die mit Schlaglöchern übersäten Straßen so schmal, dass das Auto nicht weiterfahren konnte. Der Fahrer hielt an und machte

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