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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Wir müssen Dunstan nach Hause schaffen.«
    Der stämmige Grauschimmel ließ sich willig führen, aber nach drei Schritten mußte Cædmon anhalten. Er hatte bis heute nicht gewußt, daß einem übel werden konnte vor Schmerz. Der Nachmittag war weit fortgeschritten, und es wurde schnell kälter. Trotzdem erschien sein Gesicht ihm heiß. Er fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn, legte dem Pferd den rechten Arm um den Hals und hüpfte auf einem Bein neben ihm her.
    Dunstan war nach wie vor besinnungslos. Cædmon beugte sich über ihn und fühlte wieder seinen Herzschlag. Unverändert.
    »Oh, Dunstan, werd wach. Bitte, wach doch auf, du verdammter Mistkerl …«
    Aber Dunstan war nicht gerade dafür bekannt, daß er sich nach den Wünschen seiner Brüder richtete. Er zeigte nicht die leiseste Regung. Cædmon sah zum Himmel auf. Er war nicht mehr weiß, sondern dunkelgrau. Ein scharfer Wind hatte sich mit der Dämmerung erhoben und trieb schwere Wolken heran.
    »Ja, warum nicht«, murmelte Cædmon bissig. »Das macht jetzt keinen großen Unterschied.«
    Er wußte genau, was er tun mußte. Aber im Augenblick fühlte er sich seiner Aufgabe nicht gewachsen. Fast war es, als könne er den mörderischen Schmerz schon jetzt spüren, und er schauderte unwillkürlich. »Gott, Dunstan, das werde ich dir niemals verzeihen«, drohte er an. Er betrachtete das Gesicht seines Bruders, um noch einen kleinen Aufschub herauszuschinden. Es war kein übles Gesicht. Eingerahmt von flachsblonden Locken, eine hohe Stirn, helle Brauen und dichte Wimpern, eine gerade, fast zu schmale Nase über einem noch recht dünnen Schnurrbart und einem um so breiteren Mund, der von Natur aus, sogar jetzt in tiefer Bewußtlosigkeit, zu einem Lächeln neigte, das manchmal gutmütig, öfter aber höhnisch war. Cædmon legte den Kopf zur Seite, seine eigenen, dunkleren Locken fielen ihm dabei ins Gesicht, und er rief sich die eisblaue Farbe der Augen ins Gedächtnis.
    »Komm, Bruder«, murmelte er seufzend. »Laß uns nach Hause reiten.« Er schätzte, sie waren noch etwa drei Meilen von Helmsby entfernt. Ausgeschlossen, den ganzen Weg zu laufen. Schon bei dem Gedanken brach ihm der Schweiß aus. Hoffnungsvoll spähte er den Uferpfad entlang,doch von Dunstans Pferd war nirgends eine Spur zu entdecken. Schweren Herzens löste er die Stricke, mit denen sie den Rehbock festgebunden hatten. Mit einem dumpfen Laut fiel der schwere Kadaver zu Boden.
    »Die Füchse werden ein Fest feiern«, murmelte Cædmon. Er schwang den Strick in der Linken und sah auf seinen Bruder hinab. »Statt dessen werde ich dich heimbringen.«
     
    Er erinnerte sich später nur vage. Er wußte noch, daß er mehrere Anläufe gebraucht hatte, um den schweren, leblosen Körper seines Bruders auf den Rücken des Pferdes zu hieven. Er vergaß, daß er zwischendurch verzweifelte, daß er beinah der Versuchung erlegen wäre, Dunstan liegenzulassen und Hilfe zu holen. Aber das durfte er nicht. Es wurde dunkel und kalt. Der Wald wimmelte von hungrigen Räubern auf zwei und vier Beinen, selbst der Drache mochte zurückkommen. Cædmon wußte, wenn er Dunstan zurückließ und allein heimritt, würden sie seinen Bruder vermutlich nur noch tot wiederfinden.
    Als er den großen Körper schließlich aufs Pferd gehoben hatte, hatte Cædmon das Gefühl, daß seine Kräfte aufgezehrt waren. Er weinte wieder. Er konnte nichts dagegen tun, der Schmerz in seinem Bein war übermächtig. Seine Finger erschienen ihm ungeschickt und klamm, als er Dunstans Hände und Füße zusammenband. Dann führte er das Pferd zu einem nahen Baumstumpf, kletterte ungeschickt hinauf und saß auf. Als er den linken Fuß in den Steigbügel stellte und mit seinem gesamten Gewicht belastete, wurde ihm schwarz vor Augen. Hastig schwang er das rechte Bein über den Sattel, nahm die Zügel auf und ritt an.
    Inzwischen war es dunkel. Cædmon ließ die Zügel lang und hoffte darauf, daß das Pferd von allein nach Hause finden würde. Er wußte nicht mehr, wo er sich befand. Er saß zusammengekrümmt im Sattel, eine Hand auf der Schulter seines Bruders, und es dauerte nicht lange, bis eisige Regentropfen ihn in den Nacken trafen wie Nadelstiche. Die Welt wurde finster.
     
    »Je zwei Mann Richtung Fluß und nach Norden. Der Rest folgt mir. Aufsitzen!« Die tragende Stimme übertönte den prasselnden Regen ohne besondere Mühe. »Worauf wartet ihr, na los!«
    »Da kommt jemand, Thane«, rief eine junge Stimme aus der Finsternis. Die

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