1221 - Geschäft mit der Angst
»Was ist los, Brian?«
Die Frau erhielt keine Antwort.
»Bitte, wo bist du?«
Brian sprach nicht, sondern jammerte, und es hörte sich verdammt kläglich an.
Die Frau war es Leid. Sie schaltete das Licht im Zimmer an.
Viel Helligkeit strahlte die Lampe unter der Decke nicht ab, weil über sie ein Hemd gehängt worden war. Im Zimmer gab es nur das eine schmale Bett, einen wackligen Schrank und den verschlissenen Teppich. Ansonsten war selbst Brian nicht zu sehen. Auch nicht, als die Frau über das Bett hinwegschaute und dabei kopfschüttelnd das zerwühlte Kissen und die zerknautschte Decke sah.
»Brian - bitte…«
Jetzt hörte sie ihn jammern. Er lag auf der anderen Seite des Betts, zwischen ihm und der Wand. Nur reagierte er nicht auf den Ruf, und die Frau wus ste, was zu tun war. Allein lassen konnte sie Brian nicht. Hier in der kleinen Wohngemeinschaft war jeder für den anderen verantwortlich. Brian Watson gehörte ebenso dazu wie Lisa Farrango.
Es war nicht das erste Mal, dass sich Brian so benahm. Aber so schrecklich wie in dieser Nacht hatte er noch nie geschrien.
Er hatte Lisa regelrecht Angst eingejagt.
Der erste Anfall schien vorüber zu sein. Zumindest hörte sie nichts mehr von Brian. Sie schob sich an der unteren Bettkante vorbei und schaute dabei mit einem Seitenblick auf das Laken, das nicht nur zerknittert, sondern auch an einigen Stellen feucht war, so sehr hatte Brian Watson geschwitzt.
Sie fand ihn auf dem Bauch liegend, die Beine angezogen, den Oberkörper leicht in die Höhe gedrückt, und er hielt den Kopf gegen den Boden gepresst. Er zitterte am gesamten Leib.
Da Brian nur eine kurze Hose trug, lag der Oberkörper frei, und er sah aus wie mit jeder Menge Öl beschmiert.
Lisa Farrango schüttelte den Kopf.
»He, Brian«, sagte sie dann, »was ist denn los? Komm zu dir! Du bist nicht mehr allein, mein Junge. Es ist alles in Ordnung.«
Er hatte die Aufforderung gehört. Bestimmt hatte er sie gehört, aber er schüttelte den Kopf, obwohl er seine Haltung nicht verändert hatte. Er wollte einfach nicht hören, und immer wieder stöhnte er. Dabei schüttelte ihn dann das Gefühl der Angst.
»Du kannst hier nicht hocken, bis die Nacht vorbei ist, Brian. Reiß dich zusammen! Wir müssen miteinander reden. Ja, ich nehme mir die Zeit. Das habe ich doch immer getan, Brian. Du kannst mir alles sagen, dann wird es besser.«
Aus dem Mund des jungen Mannes drang ein unartikulierter Laut, der weder als Ablehnung noch als Zustimmung zu erkennen war. Aber er zog die Beine noch näher an den Körper, den er dann in die Höhe stemmte, sodass er mit dem Rücken eine Brücke baute. Das Gesicht vergrub er dann in seinen Armen, um nur nicht gesehen werden zu können.
»Bitte, Brian…«
»Geh doch!«
»Nein!« Lisa hatte sich längst entschieden. »Ich bleibe. Ich werde nicht gehen. Ich lasse dich nicht im Stich. Wir leben in dieser Gemeinschaft. Da ist jeder für den anderen da. Ich will dir, verdammt noch mal, nur helfen!«
»Das kannst du nicht.«
»Stimmt. Wenn du hier liegen bleibst. Aber du wirst nicht länger allein sein.« Lisa hatte längst bemerkt, dass Reden nichts mehr half. Sie musste handeln. Deshalb beugte sie sich vor und fasste ihn an der rechten Schulter an. Die Haut war durch den Schweiß klebrig und glatt, was sie nicht weiter störte, denn sie zerrte Brian hoch, obwohl dieser sich sträubte.
Er machte sich nur schwer, denn die Hände hielt er weiterhin vor sein Gesicht gedrückt, als wollte er von der übrigen Welt nichts mehr sehen.
Lisa wuchtete ihn so weit herum, dass sich Brian auf das Bett setzen konnte. Dort blieb er hocken, den Körper nach vorn gebeugt, aber die Hände noch vor dem Gesicht.
»Schau mich an!«
Er schüttelte den Kopf.
»Bitte, Brian, schau mich an!«
»Nein!«
Die Antwort war kaum zu verstehen gewesen, aber das machte Lisa nichts aus. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie umfasste beide Hand gelenke des jungen Mannes, dann drückte sie die Hände nach unten und legte sie flach auf Brians Oberschenkel.
Er saß auf dem Bett wie das berühmte Häufchen Elend. Die Angst hatte ihn gezeichnet und ihre Spuren in seinem Gesicht regelrecht eingegraben. Er sah schlimm aus. Über Jahre gealtert. Der Mund stand offen. Speichel rann hervor, und der Schweiß lag als dicke Schicht auf seiner Haut. Er atmete heftig und stoßweise. Die Augen wirkten, als wollten sie aus den Höhlen treten. Seine Lippen zitterten, und Lisa hielt jetzt seine beiden Hände fest,
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