Das zweite Vaterland
Segel wie möglich setzen lassen. Was sollte aber aus den Passagieren werden, wenn die »Flag« erst die entlegenen, zur Ausübung der Piraterie so geeigneten Wasserwüsten des Großen Oceans erreicht hatte? An Bord würden sie doch schwerlich behalten werden… vielleicht setzte man sie an einer unbewohnten Insel aus… Gleichviel, alles war doch besser, als auf diesem Schiff unter den Händen Robert Borupt’s und seiner Spießgesellen zu bleiben.
Zum berechneten Termine sollte also, an Stelle der am Cap zurückgehaltenen »Licorne«, auch die »Flag« nicht an der Neuen Schweiz erscheinen. Dort wartete man wochen-, ja monatelang vergeblich, und welch quälende Unruhe mußte die Familien Zermatt und Wolston erfüllen! Ankerte endlich gar erst die »Licorne« in der Rettungsbucht und meldete sie, daß die »Flag« schon längere Zeit vor ihr nach der Colonie abgegangen war, so mußte sich ja die Befürchtung aufdrängen, daß diese mit Mann und Maus zu Grunde gegangen sei.
Seit der Einsperrung Harry Gould’s und seiner Gefährten war schon eine Woche vergangen, ohne daß diese etwas von den Frauen in den Cabinen gehört hatten. Da – am 27. September – schien die Schnelligkeit des Dreimasters wesentlich verändert zu sein, entweder weil er gegengebraßt oder weil der Wind sich gelegt hatte.
Abends gegen acht Uhr erschienen einige Matrosen bei den Gefangenen.
Der dritte Officier befahl diesen, ihm zu folgen, und sie mußten ihm wohl oder übel gehorchen.
Was mochte oben vorgegangen sein?… Sollten sie in Freiheit gesetzt werden?… Hatte sich eine Robert Borupt feindliche Partei gebildet, die die Führung des Schiffes dem Kapitän Gould übergeben wollte?
Nach dem Verdecke gelangt, sahen sie Robert Borupt, der sie in Gegenwart der ganzen Besatzung am Fuße des Großmastes erwartete. Vergeblich warfen Fritz und Franz einen Blick in das Vorderkastell, dessen Mittelthür offen stand. Keine Lampe, keine Laterne verbreitete darin das geringste Licht.
Als der Obersteuermann sich aber der Steuerbordreling näherte, konnte er die Spitze eines Mastes erkennen, der an der Seite des Schiffes schwankte.
Offenbar war die große Schaluppe aufs Meer gesetzt worden.
Das deutete darauf hin, daß Robert Borupt den Kapitän und dessen Gefährten auf dem Boote einschiffen, sie hier aussetzen und allen Zufälligkeiten des Meeres überlassen wollte, ohne daß diese wußten, ob sie sich in der Nähe eines Landes oder einer Insel befanden.
Unentschieden erschien es, ob die unglücklichen Frauen an Bord zurückbehalten werden und hier den schlimmsten Gefahren ausgesetzt bleiben sollten.
Bei dem Gedanken, sie niemals wiederzusehen, wollten Fritz, Franz und James einen letzten Versuch zu ihrer Befreiung, sogar auf die Gefahr hin wagen, daß es ihnen selbst das Leben kostete.
Fritz stürmte nach dem Kastell zu und rief nach Jenny. Da hielten ihn aber nervige Fäuste zurück, ebenso wie Franz und James, der auch Suzan auf seinen Ruf nicht antworten hörte. Trotz ihres Widerstandes sofort überwältigt. wurden sie mit Harry Gould und John Block über die Reling in die Schaluppe hinabgelassen, die mittels einer Leine noch längs des Schiffes festgehalten war.
Welche Ueberraschung, welche Freude sollte ihnen aber hier zu theil werden! Im Boote befanden sich bereits die geliebten Wesen, die sie eben vergeblich gerufen hatten. Die Frauen waren einige Augenblicke vor den Gefangenen aus dem Frachtraume in die Schaluppe befördert worden. Hier hatten sie, eine Beute der schrecklichsten Angst, gewartet, ob ihre Begleiter gleichzeitig mit ihnen hier mitten im Großen Oceane ausgesetzt werden sollten, wohin Robert Borupt sicherlich die »Flag« geführt hatte.
Da gab es ein Wiedersehen unter heißesten Thränen. Schon allein der Gedanke, wieder vereinigt zu sein, erschien ihnen als die größte Gnade, die der Himmel ihnen erweisen konnte.
Und doch, welche Gefahren bedrohten sie an Bord dieses kleinen Fahrzeuges. Sie fanden darin nur vier Beutel mit Schiffszwieback und conservirtem Fleisch, drei Fäßchen Trinkwasser, verschiedene Kochgeräthschaften nebst einem Packet Kleidungsstücke und Decken, die ohne zu wählen aus den Cabinen genommen worden waren… alles in allem kaum genug, etwaigem schlechten Wetter zu wiederstehen und die Qualen des Durstes und Hungers zu stillen.
Sie waren aber wenigstens beisammen! Nur der Tod konnte sie in Zukunft trennen. Jetzt hatten sie übrigens gar keine Zeit zum überlegen. In wenigen Minuten mußte
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