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DAVID BENIOF F
STADT DER DIEBE
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
und wenn die Stadt fällt und ein einziger überlebt , wird er die Stadt in sich auf dem Pfad der Verbannung tragen - er wird die Stadt sein
ZBIGNIEW HERBERT
Diesmal glaubte Schenk begriffen zu haben und lachte noch stärker. Dann sagte er mit ernstem Gesicht: »Glauben Sie, daß die Russen homosexuell sind?« »Das werdet ihr nach Kriegsende feststellen.«
CURZIO MALAPARTE
Mein Großvater, der Messerstecher, tötete zwei Deutsche, bevor er achtzehn war. Ich erinnere mich nicht, dass es mir jemand erzählt hätte - ich schien es einfach schon immer zu wissen, so wie ich wusste, dass die Yankees bei Heimspielen Nadelstreifen trugen und auswärts Grau. Aber ich wusste es nicht von Geburt an. Wer erzählte es mir? Nicht mein Vater, der niemals ein Geheimnis verriet, und nicht meine Mutter, die davor zurückscheute, unangenehme Dinge zu erwähnen, a lles Grausame, Kranke oder Hass lie b e. Auch nicht meine Großmutter, die jedes Volksmärchen aus der alten Heimat kannte - hauptsächlich schaurige: über Kinder, die von Wölfen verschlungen und von Hexen geköpft wurden -, in meinem Beisein aber nie über den Krieg sprach. Und ganz gewiss nicht mein Großvater selbst, der lächelnde Hüter meiner frühesten Erinnerungen, der stille, schwarzäugige, schlanke Mann, der mich bei der Hand hielt, wenn wir die Straße überquerten, der auf einer Parkbank seine russische Zeitung las, während ich den Tauben nachlief und mit abgebrochenen Zweigen Pharaoameisen ärgerte.
Ich wuchs zwei Blocks von meinen Großeltern entfernt auf und sah sie fast jeden Tag. Sie hatten eine kleine Versicherungsgesellschaft, die sie von ihrer Wohnung in Bay Ridge aus betrieben und deren Kunden in erster Linie ebenfalls russische Einwanderer waren. Meine Großmutter war ständig am Telefon und verkaufte. Niemand konnte ihr widerstehen. Sie ließ ihren Charme spielen oder jagte den Leuten Angst ein, aber so oder so, die Leute kauften. Mein Großvater arbeitete am Schreibtisch und erledigte den ganzen Papierkram. Als ich klein war, saß ich oft auf seinem Schoß und betrachtete den Stumpf seines linken Zeigefingers, der abgerundet und glatt war, die beiden obersten Glieder so sauber abgetrennt, dass man hätte meinen können, er sei ohne sie zur Welt gekommen. Wenn Sommer war und die Yankees spielten, übertrug ein Radio (nach seinem siebzigsten Geburtstag ein Farbfernseher, den ihm mein Vater schenkte) das Spiel. Er verlor nie seinen Akzent, er ging weder jemals zur Wahl noch hörte er je amerikanische Musik, aber er wurde ein glühender Anhänger der Yankees.
Ende der neunziger Jahre machte ein Versicherungskonzern meinen Großeltern ein Angebot für ihre Gesellschaft. Nach allgemeiner Aussage war es ein faires Angebot, also verlangte meine Großmutter das Doppelte. Bestimmt wurde lange und heftig gefeilscht, aber ich hätte dem Konzern gleich sagen können, dass es pure Zeitverschwendung war, mit meiner Großmutter zu feilschen. Am Ende bekam sie, was sie verlangte, und wie es so Brauch war, verkauften meine Groß eitern ihre Wohnung und zogen nach Florida.
Sie kauften ein kleines Haus an der Golfküste, ein Flachdach-Meisterwerk, 1949 von einem Architekten erbaut, der Berühmtheit erlangt hätte, wenn er nicht im gleichen Jahr ertrunken wäre. Das nüchterne und majestätische Haus aus Stahl und Beton, auf einer einsamen Klippe mit Blick auf den Golf gelegen, ist nicht gerade das, was man sich für ein Ehepaar im Ruhestand vorstellt, aber die beiden zogen ja nicht in den Süden, um in der Sonne zu schrumpeln und zu sterben. An den meisten Tagen sitzt mein Großvater an seinem Computer und spielt mit alten Freunden online Schach. Meine Großmutter, der die Untätigkeit schon wenige Wochen nach dem Umzug auf die Nerven ging, kreierte für sich eine neue Stelle an einem College in Sarasota, w o sie russische Literatur braun gebrannten Studenten nahebringt, die (meinem einzigen Besuch ihres Unterrichts nach zu schließen) völlig verstört auf ihre Flüche, ihren beißenden Sarkasmus und ihre fehlerfrei aus dem Gedächtnis zitierten Puschkin-Verse reagieren.
Jeden Abend essen meine Großeltern auf der Terrasse ihres Hauses und blicken über das dunkle Wasser Richtung Mexiko. Sie schlafen bei offenen Fenstern, wo sich die Nachtfalter an den Fliegengittern die Flügel lädieren. Im Gegensatz zu anderen Ruheständlern, denen ich in Florida begegnet bin, haben sie
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