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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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studierte an einer Designhochschule in Los Angeles. Ihre Familie wohnte in Fresno, einige Stunden nördlich von Los Angeles. Nach der Hochzeit blieb sie noch, um sich mit ihrem Schulfreund Greg Calderon zu treffen. Sie trug Shorts und Stiefel und das rot-schwarz karierte Sportjackett ihres Vaters.
    Kimber und Greg trafen sich vor dem Restaurant Daily Planet im Tower District von Fresno. Sie tranken einen Kaffee und schlenderten dann zu ihrem Auto. Es war 22:41   Uhr. Kimber öffnete die Beifahrertür, ließ Greg einsteigen und ging dann hinüber zur Fahrerseite. In diesem Moment rollten ein paar Häuser weiter zwei junge Männer auf einem gestohlenen Motorrad von einem Parkplatz. Die beiden trugen Integralhelme. Der Fahrer Joe Davis hatte ein langes Vorstrafenregister wegen verschiedener Drogen- und Waffendelikte und war gerade auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden. Hinter ihm saß Douglas Walker, der insgesamt sieben Haftstrafen verbüßt hatte. Beide Männer waren drogensüchtig. Einige Stunden zuvor hatten sie versucht, auf der Hauptstraße von Fresno, ein Auto zu überfallen. »Ich habe echt nicht viel gedacht«, gab Walker Monate später zu Protokoll, als er gefragt wurde, was ihm an diesem Abend durch den Kopf ging.»Es kommt, wie es kommt. Es ist einfach plötzlich passiert. Wir waren halt unterwegs. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Walker und David hielten neben Kimber an und drückten sie mit dem Gewicht des Motorrads gegen das Auto. Greg sprang aus dem Wagen und lief von hinten um den Wagen. Walker versperrte ihm den Weg. Davis riss Kimbers Handtasche an sich. Dann zog er eine Pistole heraus und hielt sie Kimber ans rechte Ohr. Sie wehrte sich. Er drückte ab. Davis und Walker sprangen wieder auf das Motorrad und rasten über eine rote Ampel. Gäste des Daily Planet liefen auf die Straße. Jemand versuchte, die Blutung zu stillen. Greg fuhr zum Haus von Kimbers Eltern, doch es gelang ihm nicht, sie zu wecken. Er rief an, doch er bekam nur den Anrufbeantworter. Um 2:30   Uhr kam er schließlich durch. Mike Reynolds hörte, wie seine Frau schrie: »In den Kopf! Jemand hat ihr in den Kopf geschossen!« Kimber starb am Tag darauf.
    »Väter und Töchter verbindet eine ganz besondere Beziehung«, erzählt Mike Reynolds, als er sich an diese furchtbare Nacht erinnert. Seither ist er sichtbar gealtert, er hinkt und hat kaum noch Haare auf dem Kopf. Er sitzt am Schreibtisch seines Arbeitszimmers in seinem großzügigen Haus im kalifornischen Landhausstil, keine fünf Autominuten von der Straße entfernt, an der seine Tochter erschossen wurde. An der Wand hinter ihm hängt ein Foto von Kimber. Nebenan in der Küche hängt ein Gemälde von Kimber, die mit Engelsflügeln in den Himmel auffährt. »Mit seiner Frau kann man sich streiten«, fährt er mit bewegter Stimme fort. »Aber die Tochter ist wie eine Prinzessin. Sie kann nichts falsch machen. Und der Vater ist der, der alles wieder gut macht, von einem kaputten Dreirad bis zum gebrochenen Herzen. Papa macht alles wieder gut, aber als das passiert ist, da konnte ich gar nichts wieder gut machen. Ich habe ihr die Hand gehalten, als sie gestorben ist. Ich habe mich sehr hilflos gefühlt.« In diesem Moment schwor er sich etwas. »Alles, was ich seither getan habe, hängt mit dem Versprechen zusammen, das ich Kimber auf dem Sterbebett gegeben habe«, erklärt Reynolds. »Ich kann dir nicht das Leben retten, habe ich gesagt. Aber ich kann alles tun, was in meiner Macht steht, damit das niemandem mehr passiert.«
2
    Als Reynolds aus dem Krankenhaus nach Hause kam, erhielt er einen Anruf von Ray Appleton, dem Sprecher einer beliebten Radiosendung von Fresno. »Die ganze Stadt hat getobt«, erinnert sich Appleton. »Damals hatte Fresno mit die höchste Mordrate im ganzen Land. Aber das war derart dreist, direkt vor Millionen Menschen, vor einem beliebten Restaurant. Am Abend habe ich gehört, dass Kimber gestorben war, und habe Mike angerufen. Ich habe zu ihm gesagt: ›Wenn du bereit bist, auf Sendung zu gehen, dann sag mir Bescheid.‹ Und er hat gesagt: ›Wie wär’s heute?‹ Und damit hat alles angefangen, 14   Stunden nach dem Tod seiner Tochter.«
    Reynolds beschreibt die zwei Stunden in Appletons Radiosendung als die schwersten seines Lebens. Er weinte. »Ich habe noch nie so viel Verzweiflung gesehen«, erinnert sich Appleton. Anfangs nahmen die beiden Anrufe von Freunden der Familie entgegen, die ihr Mitgefühl ausdrücken wollten. Doch

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