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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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überall haben sie ihn angehalten und bedroht.«
    Hatte Eamon Kontakte zur IRA? Seine Schwester wusste es nicht, und es war ihr auch egal. »In den Augen der Armee waren wir doch alle verdächtig«, sagt sie. »So war’s doch. Und dann ist Eamon erschossen worden. Ein britischer Soldat hat ihn erschossen. Er und ein anderer haben zusammen eine Zigarette geraucht, es hat geknallt, und es hat Eamon getroffen. Er hat noch 11   Wochen gelebt. Am 15.   Januar ist er gestorben, mit 17   Jahren.« Ihr kommen die Tränen. »Mein Vater hat seine Arbeit im Hafen aufgegeben. Meine Mutter war völlig zerstört. Das ist jetzt 40   Jahre her. Es tut immer noch weh.«
    Rosemary Lawlor war eine junge Frau und Mutter. Sie hatte erwartet, ein normales Leben in einer modernen Stadt zu leben. Doch dann verlor sie ihr Haus. Sie wurde bedroht und schikaniert. Ihre Verwandten im Nachbarviertel wurden in ihren Häusern eingesperrt. Ihr Bruder wurde ermordet. Sie hatte sich ein anderes Leben vorgestellt und verstand nicht, was passierte. »Das war doch mein Leben, mein neues Leben«, sagt sie. »Und dann kam das. Das war einfach nicht richtig. Die Leute, mit denen ich in die Schule gegangen bin, verlieren alles, weil ihr Haus niedergebrannt wird. Die Armee, die uns beschützen soll, geht auf uns los und haut alles kurz und klein. Da war bei mir das Maß voll. Das meine ich nicht im Scherz. Man kann doch nicht im Haus herumsitzen und nichts tun, während so was passiert.«
    »Die Leute sprechen vom ›Nordirlandproblem‹«, fährt sie fort. »Aber das war doch ein Krieg! Die Armee hat mit Panzern und Waffen und was weiß ich was vor der Tür gestanden. Wir haben in einem Kriegsgebiet gelebt! Die Armee hat mit allen Mitteln versucht, uns zu unterdrücken. Aber wir waren wie Stehaufmännchen, wir haben uns immer wieder hochgerappelt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es hat wehgetan, umgehauen zu werden. Eine Menge Leute haben großes Leid erfahren. Ich habe lange unter meiner Wut gelitten, sehr lange, und ich habe mich bei meinen Kindern dafür entschuldigt. Aber die Umstände waren schuld. Das war nicht ich. So bin ich nicht auf die Welt gekommen. Das hat man mir aufgezwungen.«
6
    Als General Freelands Soldaten aufmarschierten, liefen die Einwohner sofort zur St. Peter’s Cathedral, der Kirche des Viertels. 140 Wie so viele katholische Stadtteile im Westen Belfasts war Lower Falls zutiefst religiös. St. Peter’s war das Herz des Viertels. Selbst wochentags fanden sich 400   Menschen zur Frühmesse ein. Der Pfarrer war der wichtigste Mann des Stadtteils. Der eilte nun herbei, um mit den Soldaten zu sprechen und sie zu warnen: Wenn sie die Durchsuchung nicht so schnell wie möglich über die Bühne brächten, würde es Ärger geben.
    Nach einer Dreiviertelstunde kamen die Soldaten mit ihrer Beute zurück: 15   Pistolen, ein Gewehr, eine Maschinenpistole und eine Ladung Sprengstoff und Munition. Die Patrouille packte ihre Sachen zusammen und brach auf. Sie bog in eine Seitenstraße, die aus Lower Falls führte. In der Zwischenzeit hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, und als die Panzerwagen um die Ecke bogen, warfen einige junge Männer Steine nach den Soldaten. Die Patrouille hielt an. Die Menge wurde wütend. Die Soldaten schossen Tränengasgranaten. Die Menge wurde wütender. Aus Steinen wurden Molotowcocktails und aus Molotowcocktails Schüsse. Ein Taxifahrer behauptete, er habe einen Mann beobachtet, der mit einer Maschinenpistole in Richtung Balkan Street lief. Die Demonstranten errichteten Straßensperren, um die Armee zu behindern. Eine Straße weiter wurde ein Lastwagen angezündet, um die Durchfahrt zu blockieren. Die Soldaten verschossen so viele Tränengasgranaten, dass der Wind das Gas durch das ganze Viertel trieb. Die Menge wurde immer wütender.
    Warum hatte die Patrouille angehalten? Warum war sie nach den ersten Steinwürfen nicht einfach weitergefahren? Der Pfarrer hatte sie ausdrücklich gewarnt, sich nicht länger als nötig in dem Viertel aufzuhalten. Nun ging der Pfarrer wieder zu den Soldaten, um mit ihnen zu verhandeln. Wenn sie aufhörten, Tränengas zu verschießen, dann würde die Menge keine Steine mehr werfen. Die Soldaten hörten ihm gar nicht zu. Sie hatten Anweisung, hart und sichtbar gegen Randalierer und Bewaffnete vorzugehen. Der Pfarrer wandte sich um und ging zurück zu den Demonstrierenden. Währenddessen verschossen die Soldaten erneut Tränengas. Eine Granate landete zu Füßen des

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