Deborahs Totenacker
Es war für sie wunderbar, sich dort austoben zu können, und der Pakt mit der Mafia hatte sich bisher bezahlt gemacht, obwohl sie bisher skeptisch gewesen war.
So mächtig die Organisation auch war, es gab trotzdem Personen, die ihr feindlich gesonnen waren, die auch gegen sie kämpften. Was sich die Mafia natürlich nur eine Weile gefallen ließ. Dann schlug sie zurück und eliminierte die Feinde. War das eingetroffen, kam Deborahs große Stunde. Sie schaffte die Toten weg. Daß sie dabei die Drecksarbeit für die Mafia übernahm, störte sie nicht weiter. Für sie zählte allein der Nachschub an Toten, denn davon konnte sie nicht genug kriegen.
Auch jetzt lag wieder einer auf der Ladefläche.
Sie strich mit ihrer Zunge über die Lippen, während sie den Lichtschleier der Scheinwerfer verfolgte, der einen kalten Fleck auf dem Asphalt hinterließ. Sie würden noch eine Weile fahren müssen, um den Totenacker zu erreichen, der tief im Londoner Südwesten lag, quasi an der Stadtgrenze, wo sich auch die großen Wasserreservoirs befanden und die Gegend schon einen ländlichen Charakter hatte.
Deborah nahm die Hammersmith Bridge, um über die Themse zu kommen. Der Autoverkehr war hier draußen weniger geworden. Deborah dachte nach.
Sie war leider nicht in die Pläne der Mafia eingeweiht, deshalb wußte sie auch nicht, wann sie wieder Nachschub erhielt. Sie würde sich also etwas enthalten müssen, was ihr aber nichts ausmachte, es gab noch gewisse Reserven.
Wer sie kannte, hätte alles andere bei ihr vermutet, nur nicht die Wahrheit.
Deborah war ein Ghoul!
Es gab nicht viele Menschen, die mit diesem Begriff etwas anfangen konnten, da mußte man schon Experte sein, und das waren nun mal die wenigsten.
Ein Ghoul gehörte zu einer Spezies von schwarzmagischen Geschöpfen, die selbst von anderen gemieden wurden. Ghouls waren die Aasgeier unter den Dämonen, denn sie ernährten sich von Toten. So konnte man es auf einen makabren Nenner bringen. Nur waren nicht alle Ghouls gleich. Es gab die schleimigen, die widerlichen Geschöpfe, die sich ausschließlich auf Friedhöfen aufhielten und Gänge von Grab zu Grab geschaffen hatten, um an die Toten heranzukommen. Es gab auch Ghouls, die die Gestalt eines Menschen angenommen hatten. Sie waren beides, Ghoul und Mensch. Wie Deborah, und sie genoß diesen Vorteil.
Sie war eine schöne Frau auf der einen und ein schreckliches Monstrum auf der anderen Seite.
Es bereitete ihr Spaß, ein derartiges Leben zu führen, denn wie oft war sie schon angehimmelt worden, wenn sie ausging und sich dabei unter die normalen Menschen mischte.
Deborah beherrschte diese Doppelexistenz perfekt, und niemand war ihr bisher auf die Schliche gekommen, obwohl es in London auch einige Menschen gab, die über Ghouls sehr genau Bescheid wußten.
Bisher hatte sie es immer geschafft, sich von denen fernzuhalten, und sie hoffte auch, daß es so blieb.
Deborah gab Gas.
Sie wollte ihren Totenacker so schnell wie möglich erreichen, die Leiche dort ablegen und dann wieder zurück in die Stadt fahren, um ganz
›normal‹ in ihre Wohnung zu gehen, wo sie zumeist den Tag verbrachte.
Die Nacht aber gehörte der zweiten Seite ihre Doppellebens, und das kannte nur sie. Nicht einmal die Personen, mit denen sie zusammenarbeitete.
Ihnen war nur bekannt, daß sie die Toten abholte. Was damit passierte, wußten die Menschen nicht. Und sie würden es auch nicht erfahren, denn der Totenacker sollte ihr Geheimnis bleiben.
Die Straße lag schnurgerade vor ihr. Kein verräterisches Funkeln auf der Fläche, das auf eine Glatteisfalle hingewiesen hätte.
Wunderbar zu fahren. Bis sie die Lichter sah.
Nicht normal hell, sondern rot und warnend. Schon aus großer Entfernung zu erkennen. Eine Polizeikontrolle!
Für einen Moment verzerrte sich Deborahs Gesicht. Sie ging unwillkürlich vom Gas. Durch ihren Kopf schössen zahlreiche Gedanken, aber sie formierten sich nicht zu einem Plan, der ihr gesagt hätte, wie sie reagieren sollte.
Sie mußte die Kontrolle auf sich zukommen lassen, und sie dachte natürlich an die Leiche im Wagen. Glücklicherweise lag der Tote unter einer Decke. Er war auf den ersten Blick nicht zu sehen. Zwei Koffer standen zusätzlich auf der Ladefläche.
Sie rollte langsam an die Kontrolle heran. Es war schwer für sie, herauszufinden, mit wie vielen Polizisten sie es zu tun bekommen würde.
Zwei sah sie, aber sie entdeckte auch zwei am Straßenrand stehende Fahrzeuge.
Es wurde kein Wagen
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