Deborahs Totenacker
Stoff färbte sich rasch rot.
Der Mörder stand an der Theke und trank Grappa aus einer schmalen Flasche. Dabei war sein Blick auf die Person gerichtet, die als dritte hinzugekommen war.
Eine Frau!
Sophia Brandi schluckte. Sie konnte es nicht glauben. Wieso war diese Frau erschienen? Wo kam sie her?
Wieder mußte sie über ihre Augen wischen, um die Person besser sehen zu können. Es war unglaublich, diese Person paßte einfach nicht zu den Männern. Sie wirkte, als wäre sie einem Film entstiegen, und sie war ungemein attraktiv, das mußte Sophia selbst in dieser schrecklichen Lage zugeben.
Sie trug einen Mantel aus Pelz, der ihr bis zu den Waden reichte. Da der Mantel offenstand, war das helle Kleid zu sehen, das die Figur dieser Lady umspannte.
Am auffälligsten war jedoch ihr Haar. Eine rostrote Hut, die ihren Kopf umgab und sich bis auf die Schultern gelegt hatte, wobei sie sogar noch bis zum Rücken reichte. Das Gesicht wirkte bleich – wie aus Marmor gemeißelt. Sie war unnahbar, sie war eine Schöne der Nacht, und sie erinnerte Sophia Brandi an die junge Catherine Deneuve.
Die Frau schaute auf den Toten. Dann sprach sie zu dem Verletzten, der Mühe hatte, ihr eine Antwort zu geben, weil er unter dem starken Schmerz litt. Er begleitete seine Worte allerdings mit einem Nicken, und das galt dem Toten.
Auch die Rothaarige nickte.
Dann bückte sie sich.
Sophia Brandi verstand die Welt nicht mehr. Warum faßte diese fremde Person ihren toten Mann an? Warum hob sie ihn in die Höhe? War sie eine Ärztin?
Nein, das konnte Sophia nicht glauben. So sah keine Ärztin aus. Diese Frau mußte hier in einer anderen Funktion erschienen sein. Sie war ein Rätsel, und sie hob Carlo so leicht und locker an, als hätte dieser kein Gewicht.
Mit ihm auf den ausgestreckten Armen liegend blieb sie für einen Moment stehen. Diese Haltung kam Sophia bekannt vor. Sie kannte die Szene nur anders herum, da war das Opfer zumeist eine Frau, die auf den Armen eines Mannes lag. Im Film hatte der Blutgraf Dracula seine Opfer so getragen.
Sie sagte etwas zu dem Mann mit dem Revolver.
Der nickte.
Dann lächelte die Rothaarige. Mit leichtfüßig wirkenden Schritten ging sie auf die Tür zu und verschwand in der Kälte. Den toten Carlo Brandi hatte sie mitgenommen.
Sophia stand im Schrank, schaute durch den Spion und merkte kaum, daß sie nichts mehr sehen konnte, weil sich vor ihr Auge ein Schleier gelegt hatte. Dann sank sie auf die Knie.
Ihr Kopf fiel nach vorn.
Endlich konnte sie weinen.
Es war ein schlimmes, ein fast lautloses Schluchzen. Verkrümmt lag sie auf dem Boden des Schranks und kriegte nichts mehr mit. Sie sah nicht, wie der Henker im Restaurant alles wieder richtete, wie er das Blut wegputzte, wie er dann die Räume durchsuchte, aber wohl aus Zeitgründen nicht im Kleiderschrank nachschaute.
Etwa eine halbe Stunde nach dem Mord verließen die beiden Männer das Restaurant. Über eine eventuelle Zeugin verlor keiner von ihnen ein Wort…
Sophia Brandi wußte nicht, wann sie aus ihrem Zustand erwachte. Im eigentlichen Sinne des Wortes hatte sie nicht geschlafen, sondern nur vor sich hingedöst, umfangen von ihrer wahnsinnigen Trauer und dem furchtbaren Schmerz. Sie wußte auch nicht mehr so recht, wo sie sich befand, nur als sie sich bewegte, wurde ihr sehr bald die Enge des Schranks bewußt, denn sie konnte ihren Arm nicht normal ausstrecken, ohne gegen ein Hindernis zu stoßen.
In der Hocke blieb sie, die Hände vor das aufgequollene Gesicht geschlagen.
Endlich kehrte die Erinnerung zurück.
Es war furchtbar. Wieder sah sie die schrecklichen Szenen vor sich.
Sophia durchlebte und durchlitt sie noch einmal.
Ihr Mann war tot, und damit mußte sie sich abfinden.
In ihrem Innern schien eine zweite Stimme immer nur dieses eine Wort zu wiederholen, auch dann noch, als Sophia mit dem Schrank taumelte, auf das Bett zuging, nach vom kippte und mit dem Gesicht zuerst auf das Kopfkissen fiel.
Wieder kamen die Tränen, wieder weinte sie in das Kissen. Ihre Hände zuckten, sie krampften sich zusammen, denn die Erinnerungen waren wie ein gewaltiger Schaum.
Da war die rothaarige Frau gewesen!
An ihr hakten sich Sophias Gedanken fest. Im nachhinein kam ihr diese Frau vor wie eine Gestalt aus einem Alptraum, die sich in ihr Leben gedrängt hatte.
Gab es sie? Gab es sie nicht?
Sophia stemmte sich hoch. Die Arme waren gestreckt. In den Ellenbogen zitterte sie. Ihr Gesicht war vom Weinen gerötet und gleichzeitig auch
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