Debütantinnen - Roman
anfühlt wie irgendein altes Zeitalter. Ihr Verlobter Paul ist ein hohes Tier in der Bewegung − also, falls Kommunisten überhaupt hohe Tiere sein dürfen. Er trägt nur Schwarz und Braun und dazu ein kleines rotes Taschentuch um den Hals; das braucht er vermutlich, wenn er draußen ist und den Boden bestellt und sich den Schweiß von seiner edlen Stirn wischen muss. Und er spricht mich nie direkt an, sondern redet immer nur in der dritten Person über mich als »dekadente Bourgeoise«, was nicht so liebenswert ist, wie es klingt. Anne entschuldigt sich ununterbrochen bei mir wegen ihm und bei ihm wegen mir. Mir wäre das ziemlich egal, aber ich weiß, dass er in Eton war und dass sein Vater dem Hochadel angehört.
Was mich angeht, ich ziehe einsam wie eine Wolke dahin. Mrs Digby Smith gibt heute Abend zu Esmes einundzwanzigstem Geburtstag einen Maskenball, und ich gehe als Kleopatra. Donald Hargreves begleitet mich als meine Natter. Donny ist ein schrecklicher Säufer, aber ein ziemlich guter Tänzer. Und dann weiter zum Kit-Cat Club, nehme ich an. Erlaub Ihrer Heiligkeit nicht, Dich wie eine Gans zu mästen, Schatz.
Haufenweise Liebe von Deiner
D
C ate ging in der Upper Wimpole Street Nummer 1a die Treppe hinauf in die erste Etage, wo über einer Zahnarztpraxis Rachels Wohnung lag. Es war eine Ansammlung von Räumen, die sich über zwei Etagen erstreckten und die vollgestopft waren mit Büchern, Gemälden und bei verschiedenen Auktionen zusammengetragenen Gegenständen. Die Wohnung was 1984 das letzte Mal renoviert worden und war in einer Zeit erstarrt, die der Höhepunkt ihrer Ehe mit Paul gewesen war. Die Wände des Esszimmers waren knallrot, die in der Küche sonnengelb. Und überall moosgrüner Teppichboden, ausgebleicht und formlos. Früher hatten sie groß zügig Gäste eingeladen − Mittagessen, zu denen jeder kommen konnte, und Partys, die bis in die frühen Morgenstunden gingen. Am Esstisch fanden leicht zwölf Personen Platz, und zusätzliche Stühle säumten die Wände des Wohnzimmers und standen in Ecken, stets bereit, jeden neuen Gast aufzunehmen. Seit Pauls Tod war nichts verändert worden. Doch es war lange her, dass jemand in die Gästezimmer in der oberen Etage geplatzt war und sich hingesetzt hatte, um Rachels berühmtes Roastbeef zu genießen.
Cate stellte ihre Tasche im Flur ab.
Der dicke, weiße Umschlag wartete mitten auf dem Esstisch auf sie. Rachel kam aus der Küche und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Sie kochte zu Ehren von Cates Rückkehr eine Hühnchensuppe, in der Luft lag das köstliche Aroma frischer Brühe. »Hallo!«, sagte sie lächelnd und umarmte Cate. »Wie war es? Ich hoffe, Jack war nicht zu schwierig.«
»Nein. Er war nett.«
»Gut.«
Cate schaute an ihr vorbei ins Esszimmer.
Rachel drehte sich um und runzelte die Stirn. »Oh … ja«, sagte sie bedeutungsvoll.
Cate ging hinein und nahm ihn.
Vorn darauf stand ihr Name, »Cate Albion«. Doch es war nicht seine Handschrift. Sie war überrascht, wie erleichtert und wie enttäuscht sie gleichzeitig war − wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, etwas von ihm zu sehen, und sich gleichzeitig davor gefürchtet hatte.
Rachel setzte sich. »Willst du mir erzählen, von wem er ist?«
Cate schüttelte den Kopf.
»Soll ich mich zu dir setzen, wenn du ihn liest?«
»Nein.«
»Du weißt, dass du ihn nicht aufmachen musst.«
Cate sagte nichts.
Stirnrunzelnd fuhr Rachel mit der Hand über die Tischdecke und strich die Falten glatt. Sie war es nicht gewohnt, die Mutterrolle zu spielen, und wusste nicht recht, was sie als Nächstes tun sollte. »Ich will dir nur helfen, Schatz.«
»Ja. Ja, ich weiß.«
»Aber du willst mir trotzdem nichts erzählen«, schlussfolgerte Rachel.
»Noch nicht. Das heißt«, Cate sah sie ängstlich an, »wenn es dir nichts ausmacht.«
Seufzend stand Rachel auf. »Gut. Also, willst du Reis in der Suppe oder Nudeln?«
»Nudeln, bitte.«
»Okay.« Resigniert ging Rachel zurück in die Küche und schloss die Esszimmertür hinter sich.
Cate sank auf einen Stuhl und drehte den Umschlag in den Händen. Wenn sie ihn öffnete, konnte sie sich nicht ganz sicher sein, was als Nächstes geschah. Das war ihr schon öfter so gegangen; sie hatte quasi machtlos zugesehen, wie sie nur wegen ein paar weniger schlichter Worte sämtliche guten Vorsätze und festen Entschlüsse über Bord geworfen hatte. Und doch war da eine Aufregung − eine greifbare Energie. Er wollte sie. Warum sollte er
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