Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
dass alles so gekommen ist. Ich wünschte, du wärest damals bei mir geblieben. Jetzt verliere ich dich, und vielleicht ist es ja diesmal für immer. Wer weiß, ob wir uns wiedersehen.«
Gustave winkte ab. »Ach was, natürlich sehen wir uns wieder! Warum denn nicht? Und warum kommst du nicht gleich mit mir? Es dürfte für dich mit deinen Beziehungen doch nicht schwer sein, Berlin und Deutschland den Rücken zu kehren.«
»Da sei dir mal nicht so sicher; wen die erst einmal in den Fängen haben, den lassen sie nicht so einfach wieder los.«
»Und wenn du einfach eine Reise machst und nicht wiederkehrst?«
»Und wohin sollte ich deines Erachtens? Nach Italien? Vom Regen in die Traufe?«
»Italien ist nicht so wie Deutschland.«
»So groß ist der Unterschied auch wieder nicht.«
»Na, dann eben nach Paris. In die Stadt der Liebe und der Kunst. Oder nach Amerika! Da soll man vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen können.«
»Du weißt, dass mein Französisch hundsmiserabel ist und mein Englisch jeder Beschreibung spottet. Vor allem: Was sollte ich da tun? Ohne meinen Beruf könnte ich nicht existieren.«
»Deine Familie hat genug Geld.«
»Glaubst du, ich könnte jeden Monat auf eine Überweisung meines Vaters warten und sonst den lieben langen Tag Löcher in die Luft starren?«
»Es gibt genug anderes, was du tun könntest, und mittlerweile gibt es jede Menge Deutsche im Ausland, leider nicht freiwillig, wie du weißt, die einen Rechtsanwalt gut gebrauchen könnten. Und wenn nicht, leben wir halt von dem, was ich mit meinen Bildern verdiene. Und dank Niewarth habe ich auch noch ein gutes Sümmchen auf der Bank.«
»Ich kann Deutschland nicht verlassen, Gustave, es ist meine Heimat.« Eduard hatte sich erhoben und war an das Fenster zum Hof getreten. Der Platz mit den Mülltonnen und der Teppichstange lag still und verlassen. Das kalte Wetter zwang die Kinder, die im Sommer noch draußen gespielt hatten, in den Wohnungen zu bleiben.
»Eupen war auch einmal deine Heimat, bis die Deutschen sie im Krieg verspielt haben. Und wie es aussieht, spielen die Deutschen wieder einmal. Nur die Einsätze werden immer höher. Vielleicht gibt es deine Heimat bald nicht mehr.«
»Meine Familie war immer in Deutschland, in Eupen haben wir nur gelebt. Das Herz schlug immer deutsch.«
Ob der Worte seines Freundes legte Gustave den Kopf schief. »Über diese Töne wundere ich mich!«
»Du weißt sehr wohl, wie ich es meine.«
»Ja, ich weiß, du meinst Heine, Schlegel, Kant und Schopenhauer. Aber das ist lange vorbei. Heute heißen die Vorbilder Hitler und Wessel! Was glaubst du, würden die großen deutschen Künstler und Philosophen, die in eurer Familie verehrt werden, wohl dazu sagen, dass ein Maler wie der Katuschke freiwillig in den Tod geht, ja, sogar seinem Mörder das Anlegen der Schlinge abnimmt, weil er nicht mehr leben darf, weil er nicht mehr malen darf? Ist das wirklich noch deine Heimat, Eduard?«
Eduard sah stumm aus dem Fenster. Es hatte begonnen zu schneien. In diesem Jahr fielen die ersten Schneeflocken Anfang Dezember.
Kapitel 24
Die Anklage war offiziell fallen gelassen worden, das blaue Auge und die Prellungen waren auskuriert.
Die Freunde standen in dem Zimmer, das ihm einst als Atelier gedient hatte. Seine Sachen waren ordentlich zusammengeräumt und befanden sich in der Mitte des Zimmers. Beinahe nichts erinnerte mehr an den Albtraum der vergangenen Tage. Der Maler hatte nur seinen alten Koffer gepackt und sah sich um.
Zwischen einigen Gemälden und privaten Sachen lag auch das Bild mit dem fischenden Jungen. Eduard zog es heraus und hielt es gegen das einfallende Nachmittagslicht.
»Es ist sehr schön, ich habe es gleich bewundert, damals, als ich in deinem Atelier in Pötzow stand und deine persönlichen Dinge geholt habe. Es hat eine ungeheure Intensität. Man spürt die Spannung, trotz des ruhigen Wartens auf den Fisch, der sich am Köder festbeißt. Gleich muss es so weit sein, und dann beginnt der Todeskampf. Traurig und schön zugleich.«
Eduard nahm ein weiteres Bild aus Pötzow auf. Es war der gefallenen Krieger vor Troja. »Dieses Motiv kenne ich. Es ist nach einer deiner früheren Zeichnungen entstanden. Du hast es am Ende des Krieges gezeichnet.«
»Dass du dich daran erinnerst. Bewundernswert.«
»Damals hat es mich erschreckt. Ich hatte gedacht, wie kann ein Siebzehnjähriger solch ein Motiv zeichnen? Mich hat es beim Betrachten geschüttelt, und es schüttelt mich
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