Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
meiner Geburt an verflucht, auch wenn ich klug genug war, nicht herumzusitzen und mich zu beklagen.
Normalerweise.
»Mir geht es wirklich gut«, beharrte ich. »Das Ganze war halb so schlimm.« Ich war stolz darauf, so gefasst zu klingen. Vielleicht war ich im Lügen doch besser, als ich angenommen hatte.
»Schon klar.« Vielleicht aber auch nicht.
Aber warum sollte mich das überraschen? Mark hatte wesentlich mehr Tiefgang, als man ihm ansah, und er war nicht blind. Wir waren, von kleinen Pausen abgesehen, seit zweieinhalb Jahren zusammen - und noch viel länger dicke Freunde. Er kannte vielleicht nicht alle meine Geheimnisse, aber vermutlich kannte er mich besser als jeder andere.
Eine Tatsache, die sich in seinen braunen Augen widerspiegelte, als er mich besorgt anstarrte. »Du warst drei oder vier Minuten unter Wasser.« Er streckte die Hand aus und schob mir ein nasses Haarbüschel hinters Ohr, während er sich vorbeugte, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von meinem entfernt war. Mir stockte der Atem, wie jedes Mal, wenn er mir nahekam, doch ich gab mir alle Mühe, es zu ignorieren. Es war nicht der richtige Augenblick für hormonbedingte Schwächeanfälle.
»Ich habe gesucht und gesucht, aber ich konnte dich nirgends finden.« Seine Stimme überschlug sich und ich sah mit Schrecken, dass er Tränen in den Augen hatte. Mein Widerstand schmolz dahin, auch wenn ich mich ermahnte, standhaft zu bleiben und mich - und meine Gefühle - in Schach zu halten. »Im einen Moment warst du noch direkt neben mir und im nächsten warst du spurlos verschwunden. Ich dachte wirklich, du ertrinkst.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte lachen und die ganze Sache als Witz abtun, hätte es vermutlich auch getan, wenn mein Leben nicht soeben eine dramatische Wendung in die gänzlich unwitzigste Richtung genommen hätte.
Dann ließ Mark sein Board fallen, schlang die Arme um mich und zog mich an seine Brust, als wäre das mein Platz. Auch wenn ich mir einredete, dass ich das nicht brauchte, dass ich ihn nicht brauchte, musste ich mich beherrschen, um mich nicht an ihn zu klammern. Er roch so gut: eine Mischung aus Sandelholz und Salzwasser, die nur Mark anhaftete.
Ich atmete seinen Duft tief ein, nahm ihn solange es ging in mich auf und versuchte die Normalität zu inhalieren, die ihn so ganz und gar ausmachte. Eine Normalität, nach der ich regelrecht gierte.
Er hielt mich fest und sein kaltes Neoprenhemd berührte meinen nackten Bauch. Ich trug keinen Anzug. Ich brauchte keinen im Meer, egal, wie kalt es war. Aber hier an Land fror ich, wie immer. In letzter Zeit war mir mehr oder weniger ständig kalt, wenn ich nicht gerade im Wasser war. Und der Schock, fast ertrunken zu sein, hatte das Kältegefühl noch verschlimmert. Wenn ich mich weiter an Marks kühlen Körper lehnte, würde ich später dafür büßen müssen.
Trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, mich zu bewegen oder ihn loszulassen. Die Kälte seines Körpers auf meiner Haut war nichts gegen das Eis, das mich von innen wundrieb: kalt, starr und zum Davonlaufen beängstigend. Ich hätte es gern auf meine Nahtod-Erfahrung geschoben, doch auch das wäre wieder gelogen. Die Eiseskälte wuchs schon geraume Zeit in mir und wurde jeden Tag ein wenig schlimmer; ich könnte schwören, dass ich spürte, wie meine Menschlichkeit unter diesem Ansturm allmählich erfror.
Mir zitterten die Knie.
Ich lehnte mich an Mark, solange es ging, bis mir die Zähne klapperten und ich sicher war, dass meine Lippen die gleiche Farbe hatten wie der Pazifik. Dann atmete ich ein letztes Mal tief ein, genoss einen letzten tröstlichen Moment und trat zurück.
»Hör mal, ich muss rein«, sagte ich so ruhig wie möglich.
»Ich weiß.« Wieder verzogen sich seine Lippen zu jenem Lausbubengrinsen, das mich als Erstes auf ihn aufmerksam gemacht hatte, weil es so ganz anders war als mein eigenes, verhaltenes Lächeln, und er sagte: »Holst du dir einen Termin beim Arzt und lässt dich durchchecken?«
»Nein!« Das war fast ein Schrei und es tat mir leid, als ich ihn erschrocken zurückzucken sah. Aber zum Arzt zu gehen hätte bedeutet, meinen Vater einweihen zu müssen, und das konnte und würde ich ihm nicht antun. Nicht jetzt, wo mein siebzehnter Geburtstag wie ein Schreckgespenst über unserem Haus lauerte.
Ich bemühte mich um einen sanfteren Ton. »Mir geht es gut. Ich bin nur ein bisschen durcheinander.«
»Tempest.« Er wirkte nicht überzeugt.
Völlig
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