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Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Titel: Deer Lake 01 - Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Hände vor seiner Brust, als würde er sich anschicken auf die Knie zu fallen und zu beten. »Alles andere steht an zweiter Stelle.«
    »Das ist zweifellos bewundernswert«, murmelte Mitch. »Ich habe mich gefragt, Mr. Fletcher, ob Ihnen als sein Lehrer vielleicht irgendwelche Veränderungen in Joshs Verhalten während der letzten Wochen aufgefallen sind?«
    Fletcher blinzelte, der Glanz seiner Augen erlosch, als hätte man ein Licht in seinem Inneren ausgeknipst. »Nein.« Er kniff seinen Mund wieder bis auf den vorherigen Strich zusammen.
    »War er ungewöhnlich still, oder hat er irgendein Problem erwähnt, irgend jemanden, der ihn vielleicht belästigte?«
    »Die Kinder kommen zum Unterricht zu mir, Chief Holt. Zur Beichte gehen sie zu Pater McCoy.«
    Mitch nickte und täuschte Interesse an einem verfärbten Kelch vor, strich mit einem Finger über eine alte Sammelschale aus Messing.
    »Und wie sieht Ihr persönlicher Eindruck von Josh aus? Ist er netter Junge oder ein Unruhestifter?«
    »Im allgemeinen ist er brav«, gab Fletcher widerwillig zu. »Obwohl die Kinder heutzutage Respekt oder Disziplin nicht begreifen.«
    »Er ist Dr. Garrisons Sohn, wissen Sie.« Mitch tastete über das Messingschild auf dem alten Taufstein: IM GEDENKEN AN NORMAN PATTERSON 1962. »Sie kennen doch Dr. Garrison, nicht wahr?«

    »Ich weiß, wer sie ist.«
    »War sie nicht die Ärztin Ihrer Frau?« fragte Mitch und beobachtete aus den Augenwinkeln Fletchers Reaktion.
    Seine Augen wurden schmal. »Doris konsultierte sie gelegentlich.« »Soweit ich es verstanden habe, hat Dr. Garrison Ihre Frau einmal persönlich in die Mayo-Klinik gefahren, für die dortigen Tests. Doch weit mehr, als ihre Pflicht erforderte, nicht wahr?«
    Fletcher würdigte ihn keiner Antwort. Mitch spürte, was für einen Zorn sein starrer Körper ausstrahlte. »Dr. Garrison ist eine bemerkenswerte Frau«, fuhr er fort. »Sie sieht es als ihre Lebensaufgabe an, Menschen zu helfen. Welch eine Tragödie, daß ein so guter Mensch so etwas durchmachen muß!«
    Der Mund wurde säuerlich, spitz. »Es steht uns nicht zu, mit Gott zu rechnen.«
    »Wir suchen einen Wahnsinnigen, Mr. Fletcher. Mir gefällt der Gedanke gar nicht, daß er Gottes Werk übernimmt.«
    Albert Fletcher sagte nichts. Er machte sich nicht einmal die Mühe, Mitleid zu zeigen oder die Platitüden zu äußern, die die von einer Tragödie nicht tangierten Leute aus Anstand vorbringen. Reglos stand er vor einer Statue der Heiligen Mutter Maria, die einen Arm über seinen Kopf streckte, als wisse sie nicht, ob sie ihn segnen oder ihm einen Karateschlag verpassen sollte. Mitch hätte für das letztere gestimmt. Für einen so frommen Mann hatte Albert Fletcher bedauerlich wenige christliche Tugenden vorzuweisen. Pater Tom meinte, ihm fehle es an Mitgefühl. Mitch fragte sich, ob es ihm nicht auch an Seele mangelte.
    »Schrecklich, was mit Olie Swain passiert ist, nicht wahr«, sagte Mitch. »Er hätte vielleicht diesen ganzen Alptraum für uns beenden können, wenn er sich nicht umgebracht hätte. Kannten Sie Olie?«
    »Nein.«
    »Na ja, wir werden wohl hoffen müssen, daß er in der anderen Welt Frieden findet, was?«
    »Selbstmord ist eine Todsünde«, informierte ihn Fletcher mit bigottem Augenaufschlag. Aber die Knöchel seiner Hand waren schneeweiß, so verkrampft hatte er sie gefaltet. »Er hat seine eigene Seele zur Hölle verdammt.«
    »Dann hoffen wir, daß er das auch verdient hat«, sagte Mitch grimmig. »Danke für die Führung. Es war sehr … aufschlußreich.«
    Er verließ den Lagerraum und stieg die Treppe hoch. Fletcher folgte
ihm wie der Schatten der Finsternis. Mitch drehte sich zu ihm um, mit einer Hand auf dem Geländer.
    »Ein Letztes noch«, sagte er. »Wir hatten eine Meldung, daß sich gestern abend jemand in Ihrer Nachbarschaft rumgetrieben hat. Ich würde gerne wissen, ob Sie etwas Verdächtigtes bemerkt haben?«
    »Nein«, sagte Fletcher barsch. »Ich war bis nach zehn Uhr unterwegs, bin dann sofort zu Bett gegangen.«
    »Nach zehn, was?« Mitch zwang sich zu einem verschwörerischen Blinzeln. »Bißchen spät für so eine kalte Nacht. Haben Sie jemand Besonderen besucht?«
    »Die Heilige Mutter«, sagte Fletcher, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Ich hab gebetet.«
    Auf dem Rückweg zum Truck fragte sich Mitch, warum ihm bei diesem Geständnis Fletchers übel wurde und er es gar nicht tröstlich fand.

11 Uhr, -29 Grad, Windabkühlungsfaktor: -43 Grad
    Unwissenheit ist nicht

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