Deer Lake 01 - Sünden der Nacht
er sich aus Opposition in Kopfrechnen.
Die Türglocke schellte, und Mitch wartete auf das Geräusch von Schritten. Nichts war zu hören. Kein Licht drang durch die zugezogenen Vorhänge. Nochmals betätigte er die Glocke und wippte mit den Füßen, ein Versuch, die Kälte abzuschütteln. Die Ohrenschützer umklammerten seinen Kopf wie ein Schraubstock. Die Kapuze seines Parkas verhinderte die Körperwärme am verdunsten.
Keiner kam zur Tür. Natürlich, Albert war der einzige bekannte Bewohner des Hauses. Mrs. Fletcher lebte nicht mehr, und der Diakon hatte nie eine romantische Beziehung zu jemand anderem angeknüpft. Obwohl er beruflich erfolgreich gewesen war, als Controller bei Buckland Cheese, und wahrscheinlich gut verdiente, betrachteten die Damen ihn offensichtlich nicht als willkommene Partie.
Doris’ langsamer qualvoller Tod hatte vielleicht etwas damit zu tun, dachte Mitch, als er den ordentlich freigeschaufelten Weg zur Garage entlangging. Seiner Kenntnis der Leute nach hatte während der Krankheit seiner Frau und ihrem anschließenden Tod niemand Albert gegenüber Mißtrauen gehegt.
Soweit er es durch das Fenster erkennen konnte, lag in der Garage absolut nichts herum. Das einzig vorhandene Auto stand unter einer staubbeladenen Segeltuchplane. Sie sah aus, als hätte sie seit Jahren keiner mehr angefaßt. An der Wand hingen ordentlich verteilt Gartengeräte. Über der Werkbank war eine Lochwand angebracht mit präzise aufgereihten Werkzeugen – Schraubenschlüssel, Schraubenzieher, Zangen, Hämmer.
Mitch packte die Handwärmer in seinen Jackentaschen fester und ging zur Rückseite des Hauses, um die Kellerfenster zu überprüfen. Die Wut packte ihn bei der Erinnerung, daß Megan gestern abend beinahe beim Herumschnüffeln erwischt worden wäre. Was, wenn Fletcher tatsächlich wahnsinnig war? Was, wenn er sie da allein gefunden hätte?
Mitchs Blick fiel auf das Fundament des Hauses, auf die dicke Plastikplane, die die Kellerfenster verdeckte. Sie war wieder frisch angetackert.
In der Kirche fand Mitch Pater Tom auf den Knien vor, mit etwa zwei Dutzend Frauen, die den Rosenkranz beteten. Eine Wand von Votivkerzen flackerte und tränkte die Luft mit dem schweren Vanillegeruch schmelzenden Wachses. An die Mauer neben den Kerzenreihen hatten die Katechismusklassen handgefertigte Plakate geklebt. Mit farbigen Filzstiften hatten sie in ordentlichen Buchstaben ihre Bitten aufgemalt: Jesus, bitt paß auf Josh auf. Herr, bitte bring Josh nach Hause. Daneben hatten sie Engel und Kinder und Polizisten gemalt. Alle Blicke richteten sich auf Mitch, als er neben der Bank des Priesters stehenblieb. Sie erwarteten von Mitch die Erlösung, irgendeine Nachricht, die er ihnen nicht geben konnte. Pater Tom erhob sich, die Vorbeterin schleppte die anderen weiter durch die monotone Litanei. »Heilige Muttergottes, gebenedeit bist du unter den Weibern. Der Herr ist mit dir …« »Gibt es irgend etwas Neues?« flüsterte Pater Tom, seine Stimme vibrierte vor Spannung. Er atmete hörbar aus, als Mitch den Kopf schüttelte.
»Ich muß dir ein paar Fragen stellen.«
»Gehn wir in mein Büro.«
Pater Tom ging voran, beugte hastig das Knie vor dem Altar und eilte dann weiter. Im Büro bot er Mitch einen Stuhl an und schloß die Tür. So priesterlich wie heute hatte Mitch ihn nur selten gesehen. Sein Priesterkragen stand steif über dem Ausschnitt seines schwarzen Pullovers. Kammspuren verrieten, daß er sogar versucht hatte, seine widerspenstige Mähne zu bändigen, aber ein paar hartnäckige Büschel standen wie Getreidestoppeln von seinem Kopf ab. Der Papst schaut etwas skeptisch von einem Ölgemälde an der Wand auf ihn herab, als könnte ihn der Kragen nicht täuschen.
»Was ist denn der Anlaß?« stichelte Mitch und deutete auf sein Gewand. »Kommt der Bischof in die Stadt?«
Tom McCoy grinste verlegen. »Eins von diesen kleinen Kuhhändeln, die wir mit Gott abschließen. Ich werde versuchen, ein besserer Priester zu sein, wenn er uns Josh wiederbringt.«
Mitch spürte, daß da noch mehr dahintersteckte, bedrängte ihn aber nicht. Er kannte Pater Tom gut genug, um ihn zu hänseln, aber nicht gut genug, um sich zum Beichtvater eines Mannes aufzuschwingen, der auf der geistigen Leiter etliche Stufen höher stand.
»Zum Leidwesen aller Beteiligten glaube ich nicht, daß Gott Josh entführt hat«, bemerkte er. »Wie ging es Hannah, als du dich gestern abend verabschiedet hast?«
Der Priester senkte den Blick
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