Defekt
Stimme schnarrt durch den Raum, während er
keine einzige Farbe richtig benennt.
„Hat er Ihnen je erklärt, warum?“, will Dr. Lane von
Benton wissen.
„Verzeihung“, erwidert dieser geistesabwesend.
„Warum was?“
„Rot, Blau, Scheiße! Äh
... Rot, Blaugrün ...“
„Warum er ihnen die Augen
ausgestochen hat.“
„Er sagte, sie sollten
nicht sehen, wie klein sein Penis ist.“
„Blau, Blaurot, Rot, Grün
...“
„In diesem Test hat er nicht so gut abgeschnitten“,
stellt Dr. Lane fest. „Er hat die meisten Farben falsch benannt. In welchem
Bezirk war er denn bei der Polizei? Nur damit ich darauf achte, mich nicht
ausgerechnet dort wegen Schnellfahrens anhalten zu lassen.“ Sie drückt auf den
Mikrofonknopf. „Alles in Ordnung?“
„Zehn-vier.“
„Beim
Dade County Police Department.“
„Ein Jammer. Ich habe mich in Miami immer wohl
gefühlt. Deshalb sind Sie also an diesen Kandidaten gekommen. Wegen Ihrer Beziehungen
nach Südflorida“, erwidert sie und drückt erneut auf den Knopf.
„Nicht ganz.“ Benton betrachtet durch die Scheibe
Basils Kopf, der am Ende der Magnetröhre sichtbar ist. Er weiß, dass der
Patient Jeans und ein weißes Hemd anhat.
Auf dem Krankenhausgelände dürfen Sträflinge keine
Gefängniskleidung tragen, da das der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild
vermitteln würde.
„Als wir uns bei den verschiedenen
Gefängnisverwaltungen nach möglichen Kandidaten für unsere Studie erkundigt
haben, meinte man in Florida, er sei genau unser Mann. Er langweilte sich, und
sie waren froh, ihn loszuwerden“, erklärt Benton.
„Sehr gut, Mr. Jenrette“, sagt Dr. Lane ins
Mikrofon. „Jetzt kommt Dr. Wesley zu Ihnen und gibt Ihnen die Maus. Als
Nächstes werden Sie einige Gesichter sehen.“
„Zehn-vier.“
Für gewöhnlich würde Dr. Lane selbst in den MRT-Raum
gehen und sich mit dem Patienten befassen. Aber Ärztinnen und
Wissenschaftlerinnen dürfen sich nicht in die Nähe von BESTIE-Probanden wagen.
Auch männliche Mitarbeiter müssen während des Aufenthalts im MRT-Labor Vorsicht
walten lassen. Ansonsten liegt es beim jeweiligen Arzt, ob die Probanden auch
bei den Patientengesprächen Fesseln tragen. Benton wird von zwei
Justizvollzugsbeamten begleitet, als er die Lichter im MRT-Raum einschaltet und
die Tür schließt. Die Wachmänner warten aufmerksam neben der Magnetröhre,
während Benton die Maus einstöpselt und sie Basil in die gefesselten Hände
legt.
Eigentlich wirkt Basil nicht sehr beängstigend, denn
er ist ein zierlich gebauter Mann mit schütterem blondem Haar und kleinen, eng
beieinanderstehenden grauen Augen. In der Tierwelt haben Raubtiere - Löwen,
Tiger und Bären - eng zusammenstehende Augen. Die Augen von Giraffen,
Kaninchen und Tauben - ihrer Beute also - stehen weiter auseinander und liegen
seitlich am Kopf, da ein Rundumblick für sie lebenswichtig ist. Schon lange
fragt sich Benton, ob dieses entwicklungsgeschichtliche Phänomen auch auf den
Menschen übertragbar sein könnte. Aber eine solche Studie würde ihm niemand finanzieren.
„Alles in Ordnung,
Basil?“, erkundigt sich Benton. „Was für Gesichter?“, erwidert Basils Kopf am
Ende der Magnetröhre, die an eine eiserne Lunge erinnert. „Das wird Dr. Lane
Ihnen erklären.“
„Ich habe eine Überraschung für Sie“, sagt Basil.
„Ich erzähle es Ihnen, wenn wir hier fertig sind.“
Er hat einen seltsamen Blick, als ob ein böswilliges
Geschöpf seine Augen als Fenster benutzen würde.
„Prima, ich mag Überraschungen. In ein paar Minuten
haben Sie es hinter sich“, antwortet Benton lächelnd. „Dann können wir uns
unterhalten.“
Die Wachen begleiten Benton aus dem MRT-Raum und kehren
ins Büro zurück, wo Dr. Lane Basil über die Gegensprechanlage Anweisungen
gibt. Sie erklärt ihm, er solle auf die linke Seite der Maus drücken, wenn es
sich um das Gesicht eines Mannes handelt, und auf die rechte, wenn es eine Frau
ist.
„Sie brauchen nichts zu tun oder zu sagen. Einfach
nur drücken“, wiederholt sie.
Es sind drei Tests, bei denen es allerdings nicht
darum geht, zu ermitteln, ob der Patient die beiden Geschlechter auseinander
halten kann. Überprüft wird bei dieser Funktions-CT-Reihe vielmehr die
affektive Verarbeitung. Die Männer- und Frauengesichter, die auf dem
Bildschirm erscheinen, werden von anderen Gesichtern überlagert, die jedoch zu
schnell aufblitzen, als dass das Auge sie bewusst erkennen könnte. Aber dem Gehirn
entgeht nichts. Jenrettes
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