Deichgrab
nun verstanden. Deshalb musste ich handeln.
Als Tom um kurz nach zwei Uhr in den Zug stieg, suchte er vergeblich in seinen Jackentaschen nach seinem Handy. Ihm fiel ein, es gestern mit den Papieren von der Autovermietung in das Handschuhfach gelegt zu haben. Merkwürdigerweise hatte er es während seines Aufenthaltes bei Martin Schleier gar nicht vermisst. Erst jetzt, als er Monika anrufen wollte, bemerkte er das Fehlen.
›Dann muss der Anruf eben warten‹, dachte er, während er sich einen Fensterplatz in einem der vorderen Waggons suchte.
Die Rückfahrt war beinahe so faszinierend wie die Hinfahrt. Immer kleiner wurde die Insel am Horizont, bis ein scheinbar unsichtbarer Schleier sich über die Insel legte und sie verschwinden ließ. Tom schlug das Taschenbuch auf.
In dem Buch ging es um das Ende der Verbindung zwischen Nordfriesland und Dänemark im Jahre 1864 und der Eingliederung Nordfrieslands ins Deutsche Reich. Es erläuterte sachlich die Vor- und Nachteile, die diese Entwicklung mit sich gebracht hatte. Er begann zu verstehen, warum die Friesen ein so ausgeprägtes Nationalbewusstsein hatten.
Die Zeit verging wie im Flug.
Nachdem er beim Parkwächter die Gebühr für einen Tag nachbezahlt hatte, setzte er sich in den Wagen und vergewisserte sich, dass sein Handy tatsächlich im Handschuhfach lag. Beinahe schadenfroh erschien ihm die Mitteilung von elf Anrufen in Abwesenheit auf dem Display. Flüchtig ging er die Nummern durch. Monika hatte dreimal angerufen, seine Sekretärin zweimal, einmal hatte Marlene versucht ihn zu erreichen, die anderen Nummern waren unterdrückt gewesen.
Er wählte die Nummer der Mailbox. Monika fragte, wann sie mit seiner Heimkehr rechnen könne und bat dringend um Rückruf. Seine Sekretärin fragte, was mit dem Termin von Herrn Schuhmacher am Dienstag sei. Marlene erkundigte sich nach seinem Befinden. Die letzte Nachricht war von Haie. Er müsse ihn dringend sprechen, er hätte herausgefunden, woher der Schlüssel stammt, den Tom bei Hannes gefunden hatte.
Aufgeregt wählte Tom Haies Nummer, aber selbst nach dem zehnten Klingeln ging niemand ans Telefon. Er beschloss, noch schnell bei der Autovermietung vorbeizufahren um den Wagen auszutauschen, bevor er sich auf den Weg zu Haie machte.
Der Mann von der Autovermietung war sehr freundlich. Es war zwar nur ein kleines Partnerunternehmen, trotzdem war man bemüht, einen guten Service zu bieten.
Man hätte ihn schon gestern erwartet, sagte er und Tom entschuldigte sich für die Verspätung. Er unterschrieb die Papiere für den neuen Mietwagen, bedankte sich und fuhr über die Hauptstraße zur B 5, die ihn direkt ins Dorf brachte.
Er vermutete, dass Haie noch arbeitete und fuhr deshalb direkt zur alten Grundschule. Der Hausmeister reparierte gerade einen Fahrradständer und blickte verwundert auf, als er den Wagen auf den Schulhof fahren hörte. Erst als Tom ausstieg, erkannte er ihn. Eilig ließ er sein Werkzeug fallen, kam mit großen Schritten auf den Wagen zu.
»Moin! Mensch, wo hast du denn gesteckt? Ich habe ’zig Mal versucht, dich zu erreichen!«
Tom erzählte nur kurz, Martin Schleier in Westerland getroffen zu haben und fragte:
»Und, was ist nun mit dem Schlüssel?«
Haie blickte hastig auf seine Armbanduhr.
»Schade, aber heute wird das nichts mehr!«
Tom blickte ihn fragend an.
»Mein Schwager hat mal ein Praktikum bei der Deutschen Bank in Flensburg gemacht und den Schlüssel erkannt. Leider schließt die Bank in zwanzig Minuten. Ich habe schon angerufen und die Öffnungszeiten erfragt. Jetzt müssen wir bis Montag warten.«
Mit seinen Händen machte er eine bedauernde Geste, die aber nicht verriet, ob sie nicht auch ihm selbst galt. Tom veranlasste diese Geste jedenfalls, sich zu entschuldigen.
»Tut mir leid, aber ich hatte mein Handy im Auto vergessen. Außerdem war der Besuch bei Martin Schleier auch sehr aufschlussreich und das Schließfach läuft uns ja nicht davon.«
Haie nickte.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte er.
»Weiß noch nicht so genau. Erst einmal muss ich Anrufe tätigen und Hunger hätte ich auch.«
»Ich muss hier noch eben mein Zeug zusammenräumen. Wenn du willst, lade ich dich danach zum Essen ein. Hast du Lust?«
»Ich möchte aber nicht der Grund für einen Streit mit deiner Frau sein. Außerdem ist es ihr sicherlich nicht recht, wenn du mich unangemeldet mitbringst.«
Er war sich nicht sicher, ob Haie von Elkes Aussage wusste und er hatte sich noch keine Gedanken
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