Deichgrab
darüber gemacht, wie er ihn am besten darauf ansprechen sollte. Aber Haie winkte ab.
»Dann lade ich dich eben in eine Gaststube ein. Und Elke lass man meine Sorge sein.«
Schon begann er sein Werkzeug vom Boden aufzusammeln. Tom sah ein, dass jeder Widerspruch zwecklos sein würde. Er nahm sein Handy aus der Tasche und begann zu tippen.
Zunächst rief er seine Sekretärin an. Er bat sie, sämtliche Termine zu verschieben, da er nächste Woche nicht ins Büro käme. Die Erbschaftsangelegenheiten seines Onkels seien doch aufwendiger als erwartet, begründete er die Verlängerung seiner Abwesenheit.
Anschließend wählte er die Nummer von Marlene. Haie war mit seinem Werkzeug in der Hausmeisterei verschwunden und während Tom darauf wartete, Marlenes Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören, drehte er verlegene Kreise auf dem Schulhof.
»Hallo, hier Marlene?«
Sie hatte den Anruf erst nach dem zehnten Klingeln entgegengenommen und Tom war völlig überrascht. Er stotterte:
»Ha-hallo, Ma-Marlene? Ich bins Tom.«
»Hallo, das ist aber nett, dass Sie anrufen!«
Er konnte förmlich hören, wie ihr Mund sich zu einem Lächeln formte und ihre Augen vor Freude strahlten. In ihrer Stimme lag nichts, außer Freundlichkeit. Freundlichkeit und Anteilnahme, als sie fragte:
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut.«
Er war so ein ehrliches Interesse an seinem Befinden nicht gewohnt und es machte ihn ein wenig verlegen. Er mochte diese Frau und er wollte sie unbedingt wieder sehen.
»Ich würde mich gerne bei Ihnen noch einmal so richtig bedanken. Für Ihre Hilfe und so.«
»Das trifft sich gut. Ich bin morgen zwar nicht genau in Ihrer Gegend, aber wenn Sie nichts dagegen haben, mir ein Stück entgegenzufahren, könnten wir uns treffen. Ich muss noch ein paar Erkundigungen auf Eiderstedt einholen.«
Tom wurde es plötzlich ganz warm in seiner Magengegend. Schon morgen konnte er sie wiedersehen.
»Ja natürlich, gerne!«
»Gut, dann treffen wir uns, sagen wir morgen um drei am Roten Haubarg? Wissen Sie, wo der ist?«
»Selbstverständlich. Dann bis morgen. Ich freue mich.«
»Ich auch.« Die Wärme in Toms Magen schien sich bei diesen Worten in kleine, lodernde Flämmchen zu zerteilen, die aufgeregt vor sich hin flackerten. Er legte auf und drehte sich um.
»Na, alle Anrufe erledigt?«, fragte Haie, der hinter ihm gestanden hatte.
Tom nickte. Er würde Monika erst später anrufen.
Sie fuhren durch den Koog über den alten Außendeich bis nach Blocksberg, eigentlich eine Haltestelle der Kleinbahn. Die Gastwirtschaft sah nicht besonders einladend aus, aber Haie versicherte ihm, das Essen sei vorzüglich.
Sie betraten den dunklen Gastraum und nahmen an einem der Tische Platz. Eine ältere Frau mit Schürze kam an ihren Tisch. Haie bestellte zwei Bier und zweimal Scholle mit Bratkartoffeln. Nachdem die Bedienung sich entfernt hatte, fragte er neugierig:
»Was hat denn nun dieser Martin Schleier erzählt?«
Tom rutschte etwas nervös auf seinem Stuhl hin und her. Er hatte noch immer nicht die passenden Worte gefunden, um Haie nach Elkes Aussage zu fragen. Deshalb erzählte er zunächst von Broders zurückgezogener Aussage und von Martin Schleiers Vermutungen, irgendjemand aus dem Dorf könne etwas mit Brittas Verschwinden zu tun haben.
»Vielleicht ist einigen sogar bekannt, wer der wahre Mörder ist.«
»Dieser Journalist meint also, wir Dorfbewohner würden einen Mörder decken?«
»Nicht alle, aber es könnte doch möglich sein.«
Haie schüttelte energisch seinen Kopf.
»Auf keinen Fall, davon wüsste ich! Ich meine, so etwas kannst du nicht jahrelang geheim halten, schon gar nicht im Dorf. Das wäre ganz sicher herausgekommen!«
»Meinst du? Hast du denn auch von der Aussage gewusst, die Elke gegen Hannes gemacht hat?«
Überrascht blickte Haie Tom an.
»Was, meine Frau soll gegen Hannes ausgesagt haben?«
»Soviel also zu ›so etwas kannst du nicht jahrelang geheim halten‹.«
24
Langsam öffnete Broder die Augen. Das grelle Licht der Lampe über seinem Bett schmerzte. Er musste sich zwingen, nicht dem schützenden Reflex seiner Augenlider nachzugeben.
Er sah die weiße Zimmerdecke und ließ seinen Blick umherwandern, bis er an dem Plastiktisch mit der weißen Tischdecke hängen blieb. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand und was geschehen war. ›Geht’s mir jetzt wie Lorentz?‹ dachte er, aber die Erinnerung an Lorentz’ Schicksal machte ihm bewusst, er konnte unmöglich an derselben
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