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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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und des Wortes, hinterlaßt in ihrer Erinnerung nicht einmal den Nachklang der letzten falschen Versprechen, die wir immer beim Abschied machen.‹« Wheeler verstummte und wirkte plötzlich abwesend, er klopfte sich mit den Knöcheln gegen das Kinn, sanfte Schläge, als gäbe er sich der Erinnerung hin, dachte ich, als hätte er das alles erlebt, seiner Geliebten die wichtigen Worte vorenthalten, die man hören möchte und die man sagen möchte, die man später so leicht vergißt oder mit anderen verwechselt oder anderen mit der nämlichen Leichtigkeit und der gleichen Freude wiederholt, und doch erscheinen sie so notwendig in jedem letzten Augenblick, auch wenn sie übertrieben süß und deshalb leicht unaufrichtig sind, das zählt am allerwenigsten, in jedem letzten Augenblick. »Darauf lief es hinaus oder beinahe. Nicht so schonungslos formuliert, nicht so geplant. Aber so wurde es von vielen verstanden, so verstanden und akzeptierten es die ganz Pessimistischen und die ganz Demoralisierten, die völlig Verängstigten und die völlig Niedergeschlagenen und die bereits Besiegten, und in Kriegszeiten bilden diese die Mehrheit. In Zeiten unentschiedener Kriege natürlich, die man mit Grund jede Minute zu verlieren fürchtet und die immer am seidenen Faden hängen, einen Tag nach dem anderen und eine Nacht nach der anderen im Laufe ewiger Jahre, Jahre, in denen es wirklich um Leben und Tod geht, um völlige Auslöschung oder übles, beflecktes Überleben. Dazu gehören sicher nicht all die Kriege der jüngeren Zeit, der in Afghanistan oder der im Kosovo oder der Golfkrieg oder der um die Falkland-Inseln, was für ein Witz. Oder um die Malvinen, wie du willst, du hättest sehen sollen, mit welchem Pathos die Leute hier Feuer und Flamme waren, ich meine, vor ihren Fernsehern, für mich war das sehr schmerzvoll. In den heutigen Kriegen wimmelt es von euphorischen Geistern, die ihnen zufrieden von ihren häuslichen Sesseln aus beiwohnen. Euphorisch, ja. Diese Schwachköpfe. Und Verbrecher. Ich weiß nicht. Aber damals war es zuviel verlangt, meinst du nicht? Daß die Leute alles aushalten und außerdem noch Schweigen bewahren sollten über das, was sie ohne Unterlaß quälte. Die zahllosen Toten schwiegen schon genug.«

H aben Sie selbst es getan, schweigen?« fragte ich. »Hat die Kampagne auf Sie gewirkt?«
    »Natürlich. Auf mich und auf die meisten. Glaub ja nicht, theoretisch waren es sehr, sehr viele, die sich ganz genau an ihre Empfehlungen hielten. Und nicht nur in der Theorie, sondern auch im kollektiven Gedächtnis. Ich behaupte, daß sie insgesamt gescheitert ist und daß es so kommen mußte, aber wenn du andere Leute fragst, die diese Zeit erlebt oder aus erster Hand von ihr gehört haben, oder wenn du dir die Hinweise auf den careless talk in den geschichtlichen oder soziologischen Werken ansiehst oder in dieser Mischung aus beiden, die man jetzt hochgestochen als Mikrogeschichte bezeichnet, wirst du sehen, daß die etablierte Version und sogar die aufrichtigen persönlichen Erinnerungen an das Ganze übereinstimmend behaupten und glauben, daß diese Kampagne ein großer Erfolg gewesen ist. Und das heißt nicht, daß sie bewußt und in gegenseitiger Absprache lügen oder sich in Massen irren, sondern daß die tatsächliche Wirkung von so etwas kaum nachprüfbar oder meßbar ist (wie soll man wissen, wie viele Katastrophen die Unvorsichtigkeit ausgelöst oder wie viele die Wachsamkeit verhindert hat?), und wenn Kriege am Ende gewonnen werden (besonders dann, wenn alles dagegen sprach), denkt man im Rückblick leicht, beinahe unvermeidlich, daß alle Anstrengungen, die geleistet wurden, selbstlos und lebenswichtig und heroisch waren und daß wir alle und jeder für sich zum Sieg beigetragen haben. Da wir so zu kämpfen hatten und schier von der Ungewißheit aufgefressen wurden, wollen wir uns wenigstens das Märchen erzählen, das unsere Trauer am meisten erleichtert und uns für die Leiden entschädigt. O ja, das glaube ich wohl, es gab Millionen gutgesinnter Briten, die sich die Warnungen und Losungen sehr zu Herzen nahmen und glaubten, sie gewissenhaft in der Praxis anzuwenden: sie glaubten es mit ihrem Gewissen, und einige hielten sich wirklich daran, vor allen die Truppenverbände und die Politiker und die Beamten und die Diplomaten, ich sagte es dir ja schon. Und natürlich ich selbst, aber das ist nicht mein Verdienst: Du mußt bedenken, daß ich zwischen 1942 und 1946 nie für längere Zeit in England

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