Dein ist die Rache
Bewährung. Verurteilungen wegen Drogenbesitz und Ruhestörung. Von Leanne war sie mehr beeindruckt. Sie hatte lange gesessen und sah jetzt einer noch längeren Haftstrafe entgegen.
Pharaoh fand sie in einem Behandlungsraum vor, mit Handschellen an einen Constable gefesselt, während ein Arzt die Wunde an ihrem Hinterkopf nähte und sie anflehte, endlich mit dem Flennen aufzuhören, weil er sonst keine anständigen Stiche machen könne.
»Er wird mich verlassen«, schluchzte Leanne, ohne Pharaohs Anwesenheit richtig wahrzunehmen. »Er ist zu jung für mich. Er hat das ganze Leben noch vor sich. Er hat das nicht verdient. Ich ziehe ihn nur mit runter …«
Pharaoh bat den Constable, ihr die Handschellen abzunehmen. Und als der Arzt fertig war, hatte sie Leanne Marvell nach draußen geführt und ihr eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt.
Verwundbar, verängstigt und betäubt von einem Cocktail aus Schmerzmitteln und Steroiden, war Leanne das perfekte Opfer für ein geschicktes Verhör. Und Pharaoh zog es durch. Teilte ihr mit, dass zwei vietnamesische Drogenpflanzer gefoltert und verstümmelt am Hessle Foreshore aufgefunden worden seien und sie Shaun als Täter identifiziert hätten. Pharaoh drückte sich bewusst vage aus. Überließ das meiste Leannes Phantasie. Und dankte ihrem guten Stern, dass McAvoy nicht dabei war, um sie in die Schranken zu weisen.
Trotz ihrer eindrucksvollen körperlichen Verfassung und ihrer Knasterfahrung brach Leanne zusammen. Erzählte Pharaoh alles, was sie wusste, und bettelte darum, Shaun nicht ins Gefängnis zu stecken.
Sie versprach, Pharaoh auf jede nur erdenkliche Art zu unterstützen.
Inzwischen ist Leanne ordnungsgemäß als Polizeiinformantin registriert, weiß genau, was geschieht, wenn sie lügt, und soll endlich etwas für ihr Geld tun.
McAvoy, der aus rechtlichen Gründen bei allen Treffen zwischen Pharaoh und ihren Spitzeln dabei sein muss, hat Leanne ins Herz geschlossen. Die Veränderung, die über sie kommt, wenn sie betrunken ist, wirkt beinahe schizophren, aber im Moment erweckt sie den Eindruck eines guten Menschen, der nur das Beste für seinen Partner will.
»Er darf nie davon erfahren«, sagt sie, obwohl man sie in dieser Hinsicht schon mehrfach beruhigt hat. »Sie müssen sagen, dass Sie das Beweismaterial verlegt haben oder so. Er darf nicht der Einzige sein, der dafür nicht in den Bau wandert.« Pharaoh legt ihr die Hand aufs Knie. Bietet ihr eine Zigarette an und gibt ihr Feuer. »Wir haben uns um alles gekümmert, Leanne. Wir sorgen dafür.«
Im Lauf mehrerer Befragungen hat sich herausgestellt, dass Shaun nur ein kleines Licht in der Hierarchie der Gang ist, die die Cannabisproduktion übernommen hat. Ein besserer Laufbursche, der den Transport überwacht und die verbliebene Handvoll vietnamesischer Arbeitskräfte zwischen den Plantagen hin- und herfährt, wo sie Sklavenarbeit verrichten. Er weiß nichts von der gewalttätigen Seite des Geschäfts. Hat keine Ahnung, wer die Befehle erteilt. Selbst volltrunken hat er Leanne wenig über seine Arbeitgeber erzählt, nur dass es Weiße sind, die ihm höllisch Angst machen.
»Ich bin kein Spitzel«, sagt Leanne, ein Mantra, das sie endlos wiederholt. »Ich weiß, dass er kein Chorknabe war. Aber so etwas würde er nicht tun. Er ist nicht gewalttätig, nicht auf die Art. Ich weiß nicht, warum die ihm das anhängen wollen …«
Pharaoh hüstelt und versucht, das Gespräch auf das Thema zurückzulenken. McAvoy missbilligt, dass sie Leanne in dem Glauben lässt, gegen ihren Freund würde wegen der Folterung der beiden Vietnamesen ermittelt, das ist ihr klar. Tatsächlich steht er gar nicht unter Verdacht. Die Opfer konnten mit Hilfe eines Dolmetschers nur wenige Details über ihre Peiniger angeben, aber die Männer, die ihnen das angetan hatten, standen in der Befehlskette wesentlich weiter oben als der Typ, der den Lieferwagen fuhr. Die Beschreibungen sind ungenau. Groß. Weiß. Muskulös. Auf Anweisung eines kleineren Mannes handelnd, der das alles viel zu sehr zu genießen schien …
»Können wir noch einmal ganz von vorne anfangen?«, fragt Leanne plötzlich und setzt die Hantel ab, um sich auf ihre Zigarette zu konzentrieren. Sie sieht McAvoy an. »Glauben Sie, wir schaffen das?«
McAvoy versucht ein ermutigendes Lächeln. Ohne den Blick allzu lange auf ihren armseligen Besitztümern verweilen zu lassen oder den Anzeichen von Verfall und Missbrauch, die sich in ihr Äußeres
Weitere Kostenlose Bücher