Dein ist mein ganzes Herz
eleganten Welt und kennt die einflußreichsten Leute in London. Sie ist engbefreundet mit Lady Jersey und Princess Esterhazy - beides Patronessen von Almack's, wo Sie Zutritt erhalten müssen, wenn Sie dazugehören wollen. In Ihrem Fall dürfte das allerdings kein Problem sein. Lady Merion ist enorm reich und lebt in einem Haus am Cavendish Square, das ihr ihr zweiter Gatte, Lord George Merion, der vor fünf Jahren gestorben ist, hinterlassen hat." Lord Hazelmere schmunzelte. "Sie achtet sehr auf gute Formen. Ich würde Ihnen daher nicht raten, allein in London herumzuwandern. Andererseits verfügt Ihre Großmutter über viel Humor. In gewisser Weise gilt sie als exzentrisch, schon weil sie kaum je die Stadt verläßt. Alles in allem ist niemand besser geeignet, Sie und Ihre Schwester in der Gesellschaft vorzustellen."
Dorothea dachte noch über diese Beschreibung nach, als sie das Tor in der Steinmauer erreichten, hinter der die Gärten von Grange lagen. "Hier werde ich Sie verlassen", sagte Lord Hazelmere, der sie begleitet hatte, um länger mit ihr zusammenzusein, aber nicht wünschte, daß sie zusammen gesehen wurden. Den daraus entstehenden Klatsch konnte er sich nur zu gut vorstellen. Als er ihre Hand an die Lippen zog, erglühten ihre Wangen."Und vergessen Sie meine Warnung nicht. Wenn Sie sich die Gunst ihrer Großmutter sichern wollen, gehen Sie in London nicht unbegleitet aus", setzte er hinzu. "Leben Sie wohl, Miss Darent."
Während Dorothea durch den Garten lief, schenkte sie zum erstenmal den blühenden Blumen keine Beachtung. In der Halle blieb sie stehen, weil die hier herrschende Kühle ihren brennenden Wangen gut tat. Ihren Korb drückte sie einem Hausmädchen in die Hand. "Bringen Sie diese Beeren in die Küche, Doris", bat sie. "Und richten Sie meiner Tante aus, daß ich mich bis zum Dinner hinlege. Ich habe mich anscheinend zu lange in der Sonne aufgehalten."
ln Ihrem Zimmer setzte sie sich auf die Fensterbank und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Ein Kuß und ein Paar nußbraune Augen hatten sie völlig durcheinandergebracht.
Sie begriff einfach nicht,daß sie naiv sein konnte, einem Wüstling gegenüber so etwas wie Zuneigung zu empfinden. Schließlich zwang sie sich dazu, die Angelegenheit vernünftig zu betrachten. Zweifellos sollte sie wütend sein, mußte aber ehrlicherweise zugeben, daß sie ihn durch ihre unpassende Aufmachung zu seinem Benehmen herausgefordert hatte. Außerdem hätte eine wohlerzogene junge Dame, die sich plötzlich in den Armen des Marquess of Hazelmere wiederfand, sicherlich anders reagiert, als sie es getan hatte. Das Gute an der Sache war nur, daß er ihr wertvolle Informationen gegeben hatte, die ihre Großmutter betrafen.
Vierzehn Tage später kehrte der Marquess nach Hazelmere House zurück, das am Cavendish Square, beinahe gegenüber von Merion House lag. In der Bibliothek blätterte er den Stapel von Briefen und Einladungen durch, der sich während seiner Abwesenheit angesammelt hatte. Er nahm einen rosa Umschlag heraus, der stark nach einem schweren Parfüm duftete und die geschnörkelte Handschrift seiner derzeitigen Mätresse trug. Nachdem er die wenigen Zeilen gelesen hatte, warf er ihn ins Kaminfeuer. Dann setzte er sich hinter den Schreibtisch und verfaßte eine Antwort. Er läutete einem Diener und trug ihm auf, das Schreiben persönlich abzuliefern.
Das bedeutete das Ende einer weiteren Affäre. Zehn Jahre lang hatte er sich allen Vergnügungen gewidmet, die unter seinesgleichen üblich waren, und plötzlich langweilten ihn diese Episoden. In Gedanken verglich er die reife und erfahrene Cerise, von der er sich soeben getrennt hatte, mit dem grünäugigen Mädchen, dessen Gesicht ihn verfolgte. Natürlich wußte er, daß er die Unzufriedenheit mit seinem derzeitigen Dasein hauptsächlich der Begegnung im Wald von Moreton Park zu verdanken hatte.
Marc St. John Ralton Henry war mit einunddreißig Jahren der fünfte Marquess of Hazelmere und einer der reichsten Peers des Landes. Er erinnerte sich noch gut daran, wann er zum erstenmal von Miss Darent gehört hatte.Ihr Name war im Laufe eines Gespräches mit seiner Großtante in der Nacht vor ihrem Tod gefallen. Als sich die alte Dame nach seinen Heiratsabsichten erkundigt hatte, hatte er derartige Pläne verneint.
"Ich kann dir nicht verdenken, daß du keines dieser albernen Gänschen heiraten magst, die jedes Jahr in die Gesellschaft eingeführt werden", hatte sie gesagt. "Doch warum schaust du
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