Dein ist mein ganzes Herz
gekostet hatte, bezauberten ihn. Eines war ihm klar: Wenn er die Bekanntschaft mit ihr vertiefen wollte, mußte er sehr behutsam vorgehen.
Er nahm ihr den gefüllten Korb aus der Hand und holte von der anderen Seite der Lichtung sein Jagdgewehr. "Ich werde Sie nach Hause begleiten, Miss Darent", erklärte er. Ehe sie protestieren konnte, setzte er hinzu:
"In meinen Kreisen trifft man keine junge Dame allein im Freien an."
Dorothea, der keine passende Antwort einfiel, ging widerwillig neben ihm her.
"Nur um meine Neugier zu befriedigen ...", begann er. "Warum haben Sie bei Ihrem Spaziergang im Wald nicht wenigstens irgendein Dorfmädchen mitgenommen?"
"Ich bin in der Nachbarschaft bekannt und brauche in meinem Alter keine Anstandsdame", erwiderte Dorothea.
Er lachte. "Mein liebes Kind, so alt sind Sie nun wirklich nicht. Und daß Sie den Schutz einer Anstandsdame brauchen, ist ganz offensichtlich."
Da er vor kurzem den Beweis dafür geliefert hatte, konnte sie schwerlich leugnen."Wenn ich in Zukunft Ihren Wald betrete, werde ich eine Begleitung mitnehmen. Allerdings sehe ich die Notwendigkeit nicht ein",fuhr sie nach kurzem Nachdenken fort. .,Haben Sie nicht gerade versprochen, Sie würden mich nicht mehr mit einem Dorfmädchen verwechseln ?"
"Das bedeutet aber nur, daß ich das nächste Mal weiß, wessen Lippen ich küsse."
"Oh!" Dorothea hielt abrupt inne und funkelte ihn wütend an.
Lord Hazelmere blieb ebenfalls stehen und berührte mit dem Zeigefinger ihre Wange - eine Geste, die sie noch mehr ärgerte. "Ich kann mich nur wiederholen, Miss Darent. Riskieren Sie nicht im Wald oder sonst wo allein herumzulaufen. Dazu sind Sie viel zu hübsch - trotz Ihres fortgeschrittenen Alters." ·
Dorothea verschlug es die Sprache. Empört drehte sie sich um und setzte ihren Weg fort.
Er suchte nach einem unverfänglichen Thema. "Ich habe gehört, daß Sie kürzlich Ihre Mutter verloren haben", begann er. "Wenn ich mich recht erinnere, erzählte mir meine Großtante, daß Sie bei Verwandten im Norden waren."
Dorothea schaute ihn mit großen Augen an. "Haben Sie sie denn gesehen, bevor sie starb?"
Ihr offenkundiger Zweifel ärgerte ihn sonderbarerweise. "Ob Sie es nun glauben oder nicht, Miss Darent, aber ich hatte meine Tante sehr gern und habe sie regelmäßig besucht. Da ich aber selten länger als einen Tag geblieben bin, wundert es mich nicht, daß Sie nichts davon bemerkt haben. Während der letzten drei Tage vor ihrem Tod war ich bei ihr, und als ihren Erben hat sie mich über die Familien der Nachbarschaft informiert."
Anstatt sich abzuwenden, wie er erwartet hatte, blickte sie ihn direkt an. "Lady Moreton und ich waren gute Freunde. Es tat mir sehr Leid, daß ich sie nicht noch einmal gesehen habe."
"Ihr Ende war ganz friedlich. Sie ist im Schlaf gestorben. Ihr Tod bedeutete angesichts der Schmerzen, die sie während der vergangenen Jahre erdulden mußte, eine Erlösung für sie."
Dorothea nickte niedergeschlagen. .
"Beabsichtigen Sie und Ihre Schwester für immer in Grange zu bleiben?" fragte er. · ·
Ihre Miene erhellte sich. "Nein, wir besuchen Anfang nächsten Jahres unsere Großmutter, Lady Merion."
Lady Hermione Merion, die verwitwete Lady Darent, war wie ein frischer Sommerwind durch die düsteren Korridore von Darent Hall gefegt.
Sie hatte die Schwestern zusammen mit ihrer Tante Agnes, die offiziell als ihre Anstandsdame fungierte, zurück nach Grange mitten in Hampshire verfrachtet, wo sie das Trauerjahr abwarten sollten. Nach dessen Ablauf erwartete sie die beiden Mädchen in ihrem Londoner Stadthaus.
"Lady Merion will uns in die Gesellschaft einführen", berichtete Dorothea. "Cecily ist sehr hübsch und wird bestimmt eine gute Partie machen", setzte sie hinzu.
"Und Sie selbst?"
Auf den spöttischen Unterton, den sie in seiner Stimme zu entdecken glaubte, reagierte sie empfindlich. "In meinem Alter tauge ich nicht mehr für den Heiratsmarkt", entgegnete sie schroffer, als beabsichtigt. "Ich habe vor, die Tage in London zu genießen und alle Sehenswürdigkeiten zu besuchen." Plötzlich kam ihr ein Gedanke. "Kennen Sie Lady Merion?"
Er lächelte. "Jeder im Ton kennt Lady Merion. Was mich betrifft- sie ist eine enge Freundin meiner Mutter."
"'Erzählen Sie mir von ihr", bat Dorothea. "Ich habe sie seit meiner Kinderzeit nicht mehr gesehen, außer in jener Nacht, die sie Anfang des Jahres in Darent Hall verbrachte."
"Nun, Ihre Großmutter bekleidet eine führende Stellung in der
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