Dein ist mein ganzes Herz
"Ich denke, Sie sollten es der Besitzerin zurückgeben. Damit meine ich natürlich Miss Darent."
Murgatroyds Gesicht schien zu versteinern. "Selbstverständlich, Mylord." Er verbeugte sich und war schon fast an der Tür, als Hazelmere ihn noch einmal aufhielt. "Übrigens, Murgatroyd, Miss Darent und ich werden in wenigen Wochen heiraten. An solche Kleinigkeiten werden Sie sich wohl in Zukunft gwöhnen müssen."
Murgatroyd war von gemischten Gefühlen erfüllt.Er war noch nie Kammerdiener eines verheirateten Gentleman gewesen und zog einen Junggesellenhaushalt vor. Aus diesem Grund hatte er seine frühere Stellung gekündigt. Andererseits fühlte er sich wohl in Lord Hazelmeres Diensten und Miss Darent - demnächst Lady Hazelmere - war eine reizende junge Frau. Seine strengen Züge milderte ein wohlwollendes Lächeln. "Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück, Mylord."
Der Marquess sank wieder in die Kissen, während sein Kammerdiener sich auf die Suche nach Trimmer machte.
Die nächsten Tage verliefen recht turbulent. Lord Hazelmere hatte beschlossen, daß sie in zwei Wochen in der St.-George-Kirche am Hanover Square getraut werden sollten. Es galt viele Details zu klären und Entscheidungen zu treffen, so daß ständig einige Diener zwischen London und Hazelmere Park unterwegs waren. Lord Fanshawe und Cecily hatten ihre Fahrt nach London für einen kurzen Besuch unterbrochen. Cecily freute sich sehr über die Neuigkeit, Betsy brach in Tränen aus.
Lady Merion schrieb, daß ganz London über den nächtlichen Ausflug zum Hazelmere Water sprach, der allgemein als "die Romanze der Saison"
bezeichnet wurde. Als Dorothea am Frühstückstisch den Brief ihrer Großmutter vorlas, schmunzelte der Marquess. "Ein Glück, daß niemand weiß, was am Hazelmere Water tatsächlich geschehen ist."
Dorothea schnappte nach Luft, bevor sie ein Brötchen ergriff und nach ihm warf.
Er duckte sich und protestierte. "Ich dachte, nur Cecily würde mit Gegenständen werfen."
Sie beschlossen, am Montag wieder nach London zu fahren. Der Marquess verbrachte den Sonntagnachmittag mit seinem Verwalter. Auf Grund des Hochzeitstrubels hatte er nur einen Tag zur freien Verfügung, um sich seinen Geschäften zu widmen. Liddiard sollte die Aufsicht über alle Güter übernehmen, bis das junge Paar aus den Flitterwochen in Italien zurückkam.
Dorothea wußte nicht, wie sie sich die Zeit vertreiben sollte, und setzte sich in den Rosengarten. Fünf Tage waren seit ihrer Ankunft vergangen. Während dieser fünf Tage hatte sich Marc zwar aufmerksam, aber zugleich distanziert benommen. Außer ein paar sanften Küssen war nichts geschehen - keine leidenschaftlichen Umarmungen, keine zärtlichen Liebkosungen. Was um alles in der Welt war mit ihrem zukünftigen Ehemann los?
Rauschende Seidenröcke kündigten an, daß sich die Marchioness näherte. Mit einem Lächeln nahm sie neben Dorothea auf der Steinbank Platz. Wie gewöhnlich steuerte sie direkt auf ihr Ziellos. "Was ist mit euch los?"
Dorothea zog eine Grimasse. "Eigentlich gar nichts."
Lady Hazelmere ließ sich nicht täuschen. "Hat Marc noch nicht mit dir geschlafen?"
Dorothea errötete bis unter die Haarwurzeln.
Die Marchioness lachte. "Reg dich nicht auf, Kind", bat sie. "Ich kam nicht umhin zu bemerken, daß dir bei deiner Ankunft ein gewisses Kleidungsstück fehlte. In London hast du es vermutlich noch getragen."
"Selbstverständlich", versicherte Dorothea lächelnd.
Lady Hazelmere musterte ihre Schuhspitzen, die unter dem Rocksaum ihres eleganten Kleides hervorlugten. "Marc scheint in mehr als einer Hinsicht seinem Vater zu ähneln. Man bekommt einen kleinen Schock, wenn man glaubt, einen Lebemann zu heiraten und dann feststellt, daß man - zumindest vor der Hochzeit - diese Art der Behandlung eher vom Sohn eines Erzbischofs erwarten würde. In einer Beziehung sind alle Henry-Männer gleich: einerseits skandalös, andererseits puritanisch. Trotzdem bezweifle ich, daß es in der Familie viele jungfräuliche Bräute gegeben hat."
"Oh", murmelte Dorothea.
"Nimm meinen guten Rat an, Liebes. Wenn du keine vollen zwei Wochen warten willst, mußt du etwas unternehmen. Du fährst morgen wieder nach London, und wie ich Marc kenne, hast du dort keine Chance, dein Ziel zu erreichen."
"Er scheint so distanziert ..."
"Distanziert?" wiederholte ihre künftige Schwiegermutter erstaunt.
"Und was ist am Hazelmere Water geschehen? So etwas passiert nicht, wenn sich ein Mann distanziert benimmt.
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