Dein ist mein ganzes Herz
dich nicht woanders um? Es gibt viele nette Mädchen, die aus dem einen oder anderen Grund niemals in London anzutreffen sind."
Nach einem Blick auf sein skeptisches Gesicht fuhr sie fort: "Auch Mädchen vom Lande sind in der Lage, sich in ein Leben in der Gesellschaft einzufügen. Da wäre zum Beispiel Dorothea Darent - jung, schön, mit einer ansehnlichen Mitgift und von genauso guter Herkunft wie du. Während der letzten sechs Jahre führte sie ihrer verwitweten Mutter den Haushalt und war deshalb nicht in der Stadt. Cynthia Darent hat es leider unterlassen, sie nach London zu bringen. Vor ein paar Monaten ist sie gestorben, und ihre beiden Töchter halten sich zur Zeit in Darent Hall auf. Es tut mir sehr Leid, ich hätte Dorothea gern noch einmal gesehen."
"Warum ist dieses Prachtexemplar denn noch nicht verheiratet?" fragte er. "So begriffsstutzig können die Herren vom Lande doch nicht sein."
Großtante Etta kicherte. "Ich glaube, daß kein Gentleman ihr einen guten Grund für die Ehe geliefert hat. Betrachte die Angelegenheit doch einmal aus ihrer Sicht. Sie führt ein angenehmes Leben, ist vermögend und unabhängig. Warum sollte sie also heiraten?"
"Mir fielen da verschiedene Gründe ein."
"Das kann ich mir vorstellen, aber die spielen keine Rolle, da du Dorothea wahrscheinlich nie kennenlernen wirst. Es sei denn, Hermione Merion greift ein. Ich habe ihr nämlich geschrieben. Da wäre auch noch die jüngere Schwester Cecily Darent - ebenfalls eine Schönheit., wenn auch von anderer Art. Sie würde allerdings selbst die Geduld eines Heiligen auf die Probe stellen. Und das bist du wahrhaftig nicht, daher kommt sie für dich nicht in Frage. Doch genug von den Schwestern Darent. Ich habe sie lediglich als Beispiel genannt." Damit war das Thema erledigt.
Großtante Ettas Worte waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Seit der Begegnung mit Dorothea Darent hatte er diese bemerkenswerte junge Dame als mögliche Ehefrau in Erwägung gezogen.
Während der vergangenen zehn Jahre hatte keines der verwöhnten Geschöpfe, die man ihm bei Almack's oder sonst wo vorgestellt hatte, ernsthaft sein Interesse erregt. Einige Mitglieder seiner Familie hatte das gestört, vor allem seine beiden älteren Schwestern Maria und Susan, die ständig die eine oder andere Schönheit gelobt hatten. Seine Mutter und Großtante Etta jedoch hatten ihn in seiner Zurückhaltung bestärkt. Beide hatten begriffen, daß ihn unerträgliche Langeweile befiel, sobald er sich auch nur ein paar Minuten mit einem dieser ewig kichernden und geistlosen Mädchen unterhielt. Natürlich wünschte sich seine Mutter, daß er heiratete, hatte aber wiederholt betont, daß sie sich keine Debütantin als seine Ehefrau vorstellen konnte.
Großtante Etta hatte vor jener Nacht nie ein Wort über dieses Thema verloren. Sie kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, daß sie ihn nicht direkt darauf ansprechen durfte. Statt dessen hatte sie lediglich beiläufig erwähnt, daß sie Dorothea Darent für eine passende Ehefrau hielt und alles Weitere ihm überlassen.
2. KAPITEL
Cecily, die in einer Ecke der Kutsche kauerte, stöhnte leise. Ihre Augen waren geschlossen, doch die Falten auf ihrer Stirn zeigten, daß sie nicht Schlief. Die Kutsche schwankte bedrohlich, da die Pferde auf der vereisten Straße ständig strauchelten. Die Regentropfen, die an den Scheiben hinunterrannen, versperrten die Sicht auf die trübsinnige Landschaft. Der graue Februarnachmittag neigte sich dem Ende zu. Plötzlich tauchten die dunklen Umrisse des "Three Feathers Inn" vor ihnen auf. Da es auf halbem Weg zwischen Grange und London lag, wollten sie dort übernachten. Dorothea allein hätte die Fahrt an einem Tag zurückgelegt. Mit Cecily zusammen war das jedoch unmöglich, denn sie vertrug das Reisen schlecht.
Außer ihnen saß noch ihre Zofe Betsy, die sie seit ihrer Kinderzeit betreute, in der Kutsche. Nach reiflichem Überlegen hatten sie Tante Agnes zurückgelassen. Deren Rheumatismus war legendär, und Dorothea war davor zurückgescheut, sich mit der zwar geliebten, aber ständig jammernden alten Dame zu belasten. Zudem hegte Tante Agnes eine tiefe Abneigung gegen das starke Geschlecht, was nicht gerade hilfreich gewesen wäre, wenn man für Cecily einen Ehemann finden wollte. Jedenfalls hatte Dorothea in ihrem Schreiben, mit dem sie Lady Merion von ihrer Ankunft informierte, die Tante nicht erwähnt.
Das "Three Feathers inn" war eine der größten
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