Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Stück des menschlichen Gehirns von der Größe eines Sandkorns enthält
einhunderttausend Neuronen, zwei Millionen Axonen und eine Milliarde Synapsen, die alle miteinander reden. Die Zahl der Permutationen und Kombinationen von Aktivität, die in jedem unserer Köpfe theoretisch möglich sind, übersteigt die Zahl der Elementarteilchen im Universum insgesamt.«
Ich mache eine Pause, um die Zahlen über sie hinwegrollen zu lassen. »Willkommen im großen Unbekannten.«
»Brillant, alter Junge, du hast ihnen einen gehörigen Schrecken eingejagt«, sagt Bruno, während ich meine Unterlagen einpacke. »Ironisch. Leidenschaftlich. Amüsant. Inspirierend.«
»Na ja, nicht direkt, Mr. Chips.«
»Sei nicht so bescheiden. Keiner dieser jungen Banausen hat je von Mr. Chips gehört. Sie sind mit der Lektüre von Harry Potter und der Weinstein aufgewachsen.«
»Ich glaube, es heißt ›Stein der Weisen‹.«
»Egal. Mit deiner kleinen Marotte hast du alles, was man braucht, um ausgesprochen beliebt zu werden, Joseph.«
»Meine Marotte?«
»Dein Parkinson.«
Er verzieht keine Miene, als ich ihn ungläubig ansehe. Ich klemme meine ramponierte Aktentasche unter den Arm und gehe zum Seitenausgang des Hörsaals.
»Nun, es freut mich, dass du glaubst, sie hätten zugehört«, sage ich.
»Oh, zuhören tun sie nie«, erwidert Bruno. »Wenn manchmal etwas durch ihren Alkoholnebel dringt, geschieht das per Osmose. Aber du hast dafür gesorgt, dass sie garantiert wiederkommen.«
»Wie das?«
»Sie wissen nicht, wie sie dich anlügen sollen.«
Seine Augen verschwinden beinahe zwischen den Falten. Bruno trägt eine Hose ohne Taschen. Aus irgendeinem Grund habe ich einem Mann, der keine Hosentaschen braucht, nie getraut. Was macht er mit seinen Händen?
Die Flure und Wege sind voller Studenten. Ein Mädchen, das ich aus der Vorlesung wiedererkenne, kommt auf mich zu. Sie hat glatte Haut und trägt Desert Boots und schwarze Jeans. Der dicke dunkle Lidschatten lässt sie aussehen wie ein Waschbär mit einem traurigen Geheimnis.
»Glauben Sie an das Böse, Professor?«
»Verzeihung?«
Sie wiederholt ihre Frage und drückt ein Notizbuch an ihre Brust.
»Ich glaube, das Wort ›böse‹ wird zu häufig verwendet und hat dadurch an Wert verloren.«
»Werden Menschen böse geboren oder von der Gesellschaft dazu gemacht?«
»Sie werden dazu gemacht.«
»Es gibt also keine Psychopathen von Geburt an?«
»Ihre Zahl ist zu gering, um sie zu quantifizieren.«
»Was für eine Antwort ist das denn?«
»Die richtige.«
Sie möchte mich noch etwas fragen, kämpft aber noch mit sich, den Mut dazu aufzubringen. »Würden Sie ein Interview geben?«, platzt sie dann plötzlich heraus.
»Wem?«
»Der Studentenzeitung. Professor Kaufman sagt, Sie wären gewissermaßen prominent.«
»Ich glaube kaum …«
»Er sagt, Sie wären angeklagt worden, eine ehemalige Patientin ermordet zu haben, und hätten sich rausgewunden.«
»Ich war unschuldig.«
Die Unterscheidung scheint zu subtil für sie. Sie wartet noch immer auf meine Antwort.
»Ich gebe keine Interviews, tut mir leid.«
Sie wendet sich achselzuckend zum Gehen, bevor ihr noch etwas einfällt. »Ihre Vorlesung hat mir gefallen.«
»Danke.«
Sie verschwindet den Flur hinunter. Bruno sieht mich verlegen
an. »Ich weiß nicht, wovon sie redet, alter Junge. Da muss sie irgendwas falsch verstanden haben.«
»Was erzählst du den Leuten?«
»Nur Gutes. Sie heißt Nancy Ewers und ist ein intelligentes junges Ding. Studiert Russisch und Politik.«
»Warum schreibt sie für die Zeitung?«
»Wissen ist kostbar, egal, ob es auch nur den geringsten menschlichen Nutzen hat oder nicht.«
»Wer hat das gesagt?«
»A.E. Housman.«
»War der nicht Kommunist?«
»Er war eine Schwuchtel.«
Es regnet immer noch. Es gießt, genauer gesagt, in Strömen. So geht das jetzt schon seit Wochen. Vierzig Tage und vierzig Nächte müssten beinahe vorüber sein. Eine ölige Flut aus Schlamm, Schutt und Matsch, die über den Südwesten Englands schwappt, macht Straßen unpassierbar und verwandelt Keller in Swimmingpools. Es gibt Radioberichte über Überschwemmungen im Malago Valley, Hartcliffe Way und Bedminster. Für den Avon, der in Evesham über die Ufer getreten ist, sind weitere Warnungen ausgegeben worden. Schleusen und Dämme sind gefährdet. Menschen werden evakuiert. Tiere ersaufen.
Der Regen fällt, gepeitscht von seitlichen Böen, auf den Hof. Studenten suchen Schutz unter Schirmen
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