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Dessen, S

Dessen, S

Titel: Dessen, S Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Because of you
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Eins
    Die E-Mails fingen immer gleich an:
     
    Hi Auden!!
     
    Das doppelte Ausrufezeichen ging mir jedes Mal wieder auf den Geist. Meine Mutter nannte es überflüssig, übertrieben, banal. Ich fand es einfach bloß nervig, so wie fast alles, was meine Stiefmutter anging. Heidi.
     
    Ich hoffe, deine letzten Wochen vorm Schulabschluss sind supertoll. Uns allen hier in Colbygeht es sehr gut! Die Vorbereitungen für die Ankunft deiner kleinen Schwester laufen auf Hochtouren. Seit Kurzem strampelt sie herum wie verrückt. Als würde sie da drinnen Karate trainieren! Ich habe ziemlich viel damit zu tun, mich um alles zu kümmern und das Kinderzimmer fertig einzurichten. Alles in Braun- und Rosatönen. Sieht total süß aus! Ich hänge ein Foto an, damit du es dir vorstellen kannst.
    Dein Vater werkelt auch die ganze Zeit vor sich hin, vor allem nachts, weil er schwer mit seinem nächsten Buch beschäftigt ist. Ich vermute fast, ich werde ihn in Zukunft
öfter sehen als jetzt, nämlich wenn ich nachts mit dem Babyauf bin.
    Ich hoffe sehr, du überlegst es dir und kommst uns besuchen, wenn du mit der Schule fertig bist. Wir hätten bestimmt viel Spaß zusammen. Komm, wann immer du möchtest. Wir würden uns sehr freuen, dich bei uns zu haben.
     
    Alles Liebe,
    Heidi (und dein Vater und das zukünftige Baby!)
     
    Schon diese Mail-Auswürfe lesen zu müssen strengte mich an. Zum Teil lag es an dem aufgedrehten Stil – als würde dir permanent wer ins Ohr brüllen   –, aber auch an Heidi selbst. Sie war einfach   … überflüssig, übertrieben, banal.
Und
nervig. Jedenfalls fand ich sie so, und zwar von Anfang an: Seit sie und mein Vater letztes Jahr ein Paar sowie schwanger geworden waren und daraufhin geheiratet hatten.
    Meine Mutter behauptete, das Ganze habe sie nicht im Mindesten überrascht. Seit ihrer Scheidung von meinem Vater hatte sie prophezeit, dass er früher oder später »was mit einer Studentin anfangen würde«, wie sie es ausdrückte. Heidi war zwar keine Studentin, aber mit ihren sechsundzwanzig Jahren genauso alt wie meine Mutter, als sie meinen Bruder, Hollis, bekommen hatte; ich folgte vier Jahre später. Doch damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Ansonsten waren die beiden so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Meine Mutter hatte einen rasiermesserscharfen Verstand, einen trockenenSinn für Humor und als Geisteswissenschaftlerin Karriere gemacht: Sie galt als
die
amerikanische Expertin für die Rolle der Frau in der Literatur der Renaissance. Heidi hingegen war   … eben Heidi. Der Typ Frau, deren Stärke darin bestand, ununterbrochen an sich selbst rumzuzuppeln oder zuppeln zu lassen (Pediküre, Maniküre, Strähnchen färben), alles Mögliche und Unmögliche über Rocklängen und Schuhe zu wissen, und Menschen, denen all das schnurzpiepegal war, mit geschwätzigen E-Mails zu bombardieren.
    Der Balztanz dauerte nicht lang, die Einpflanzung (wie meine Mutter es nannte) geschah binnen weniger Monate. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich mein Vater aus dem Menschen, der er jahrelang gewesen war – Ehemann von Professor Doktor Victoria West und Autor eines hochgelobten Romans, seit Längerem allerdings eher für seine ständigen Querelen mit Unikollegen bekannt   –, in einen frischgebackenen Ehemann und künftigen Vater eines Neugeborenen.
    Zählte man seine neue Stelle als Leiter des Fachbereichs für Kreatives Schreiben am
Weymar College
hinzu, einer kleinen akademischen Bildungsstätte in einer ebenso kleinen Stadt am Meer, konnte man durchaus behaupten, dass mein Vater ein komplett neues Leben begonnen hatte. Und obwohl die beiden mich ständig einluden, sie endlich zu besuchen, war ich mir nicht sicher, überhaupt herausfinden zu wollen, ob darin noch Platz für mich war.
    Aus dem Nebenzimmer hörte ich plötzlich Gelächter und Gläserklirren. Offenbar wurde eifrig angestoßen.Meine Mutter gab eins ihrer berühmten Abendessen für die Studenten ihres Oberseminars, die immer sehr zivilisiert und förmlich begannen (»Kultur ist es, was dieser Kultur so schmerzlich fehlt!«, pflegte sie zu sagen), allerdings unweigerlich in alkoholisierten, lautstarken Diskussionen über Literatur und Literaturtheorie endeten. Ich warf einen Blick auf die Uhr – halb elf   –, schob mit dem großen Zeh behutsam die Tür auf, blickte den Flur entlang Richtung Küche. Meine Mutter saß, Rotweinglas in der Hand, am Kopfende – wo sonst? – unseres großen Massivholz-Küchentischs. Wie

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