Deine Seele in mir /
ein Lächeln, reckten den Eltern die Ärmchen entgegen und brabbelten fröhlich vor sich hin. Julie jedoch tat nichts dergleichen. Nach wie vor reagierte sie nicht einmal auf den Ruf ihres Namens und gab auch nicht die üblichen Babygeräusche von sich. Manchmal bildete sie komische Laute. Sie klangen kehlig und wie der Versuch, in einer fremden Sprache zu sprechen, so beschrieben Tom und Kristin diese Geräusche dem Kinderarzt. Sie konnten nicht ahnen, wie nahe sie sich an der Wahrheit bewegten, denn das waren die Momente, in denen Amy mit Matt redete, in denen sie ihn fand und mit ihm sprach.
In all ihren Vorstellungen suchte und fand sie ihn, denn der Gedanke, dass er tot sein könne, war unvorstellbar für sie.
Amy sah ihn einsam in der hintersten Ecke eines ihr fremden Schulhofes sitzen oder allein auf einer Wiese liegen und mit leerem Blick in den Himmel starren. Ob er die Figuren in den Wolken wohl auch ohne sie erkannte?
Matty sah traurig aus, wann immer Amy ihn sah.
Erst mit der Zeit wurde ihr bewusst, dass diese Bilder reale Bilder waren, ja – sein mussten –, und sie wünschte sich so sehr, ihn wieder lachen zu sehen, unbeschwert und glücklich wie zuvor.
Es brach ihr das Herz, ihn so zu erleben. Obwohl Matt keine Notiz von ihr nahm und stets durch sie hindurchsah, wann immer sie sich zu ihm gesellte, gab Amy nicht auf. Sie hatte ihrem besten Freund versprochen, bei ihm zu bleiben, und war nun regelrecht besessen von dem Vorhaben, dieses Versprechen zu halten.
Es musste einen Sinn haben, dass sie ihn sah und seine Wege begleiten konnte, das spürte Amy genau. Schließlich funktionierte das nur bei ihm. Weder ihre Eltern noch ihre Uromi konnte sie finden und auf diese besondere Art aufsuchen.
Obwohl sie jetzt grüne Augen hatte anstatt wie früher blaue, und obwohl sich nun braune Löckchen um ihren kleinen Kopf kringelten, wo früher noch blonde Haare zu Zöpfen geflochten waren, war Amy dennoch überzeugt davon, dass Matt sie eines Tages sehen und auch erkennen würde. Mehr bedurfte es nicht – diese Überzeugung hielt sie gesund und lebenswillig.
Gemeinsam würden sie zurück in ihr Dorf gehen, Amys Eltern suchen und wieder so leben wie bisher.
Amys Geist war der eines neunjährigen Kindes, mit all seiner Naivität. Immer mehr Zeit verbrachte sie an der Seite ihres besten Freundes, ohne zu bemerken, wie hoch der Preis war, den sie dafür zahlte. Denn ihr kleiner Körper verlor dabei zunehmend an Beachtung und Bedeutung für sie. Nach einer Weile lebte Amy fast ausschließlich in ihrer Phantasiewelt.
Als die kleine Julie im Kreise ihrer Familie gerade ihren ersten Geburtstag gefeiert hatte, schrieb ein Facharzt einen ausführlichen Bericht über ihren Zustand, aus dem für Kristin und Tom klar erkennbar hervorging, dass sie eine schwer autistische Tochter hatten.
Von ihren Tränen und all ihrem verzweifelten Kummer bekam Amy nichts mehr mit. Hand in Hand lief sie mit Matty durch eine Welt, die ein einziges, leuchtend gelbes Sonnenblumenfeld zu sein schien
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I. Kapitel
Einundzwanzig Jahre später
M r Andrews, wie gut, dass Sie so kurzfristig Zeit gefunden haben. Bitte, kommen Sie doch herein.«
Mit einer grazilen Geste bedeutet sie mir einzutreten. Die Art, wie sie sich bewegt, ist auch dieses Mal das Erste, was mir an ihr auffällt. Trotz ihrer einfachen Kleidung wirkt sie anmutig.
»Guten Morgen, Mrs Kent. Ist doch selbstverständlich.«
Ich stampfe den Schnee von meinen Schuhen und mache einen großen Schritt auf die Fußmatte. »Wo ist denn Ihr Mann?«
»Im Wohnzimmer, auf dem Sofa. Bitte ...« Sie deutet in die Richtung des Wohnraumes und geht voran.
Ihr Anruf kam mir nicht gerade gelegen, drei Termine hatte ich verlegen müssen. Doch Menschen wie den Kents kann und darf man nicht absagen, das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Nicht in einer solchen Situation. Nicht mit dieser Bürde, die sie tagtäglich zu tragen haben.
Durch den Korridor geht es in den offenen Wohnbereich. Hier war ich bisher nur einmal, doch schon damals hatte mich die Gemütlichkeit dieses Raumes binnen Sekunden erreicht und umhüllt.
So wie auch jetzt wieder.
Das Feuer im Kamin lodert fröhlich vor sich hin, auf dem dunklen Parkettboden liegen Teppiche in warmen Braun- und Grüntönen. Es riecht nach Kaffee und frischem Brot.
»Tom, Schatz, Mr Andrews ist da.«
»Gott sei Dank!« Toms Worte haben den Charakter eines erleichterten Stoßgebetes. Ich sehe ihn nicht, doch
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