Deine Seele in mir /
ich ahne, wie schmerzverzerrt sein Gesicht sein muss, als ich sein Ächzen höre.
»Hallo Tom! Bleiben Sie ruhig liegen«, rufe ich ihm zu.
Ein bitteres Auflachen. »Sie sind ein bösartiger Witzbold, Andrews. Was bleibt mir auch anderes übrig?«
Die Stimme kommt von dem braunen Sofa, das mitten im Raum steht. Die Rücklehne verdeckt die Sicht auf meinen Patienten, lediglich Toms Hand taucht dahinter auf. Als ich um das Möbelstück herumgehe, fällt mein Blick sofort auf die junge Frau, die auf dem Boden sitzt. Ich erschrecke ein wenig, denn es ist meine erste Begegnung mit ihr.
Mit einem Pyjama bekleidet sitzt sie vor dem Sofa, die Beine verschränkt, und wiegt sich in einem beständigen Rhythmus hin und her. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, sie schaut starr in die Richtung des Kamins und summt monoton vor sich hin.
Es muss furchtbar sein.
Meine Kehle wird trocken, ich räuspere mich.
Verdammt, ich sollte mir meine Bestürzung nicht anmerken lassen. Das ist nicht professionell. Sag etwas!, fordere ich mich insgeheim auf.
»Das ist also Ihre Tochter?« Diese Frage ist rein rhetorischer Art; im selben Moment, als die Worte über meine Lippen kommen, erscheint sie mir schon töricht. Natürlich ist das ihre Tochter, fällt dir nichts Dümmeres ein?, denke ich.
Kristin antwortet trotzdem in einem liebevollen Ton. »Ja, das ist unsere Julie.«
»Guten Morgen, Julie«, begrüße ich die junge Frau und fühle dabei jeden Muskel, den mein aufgesetztes Lächeln strapaziert.
Julie, was für ein hübscher Name!, durchzuckt es mich.
Ein bedauerndes Schmunzeln, mitleiderregend zugleich, bildet sich auf Toms Gesicht. »Erwarten Sie keine Antwort, Andrews. Höchstwahrscheinlich hört Julie Sie nicht einmal!«
Ich setze einen verständisvollen Blick auf und nehme in dem Sessel neben der Couch Platz.
»Ja, Tom, ich weiß«, sage ich, bevor ich einige Sekunden schweigend verstreichen lasse – einfach, weil es die Schwere dieses Moments so verlangt. » Also, erzählen Sie. Was ist passiert?«
Tom liegt stocksteif auf dem Sofa. Selbst das Sprechen bereitet ihm Schmerzen, auch wenn er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Seine Finger krallen sich in das Leder.
»Ich habe Julie runtergetragen und sie hier abgesetzt. Natürlich habe ich versucht, die Bewegung aus den Beinen heraus zu machen, wie Sie es immer anraten, aber wahrscheinlich war mein Rücken noch zu kalt. Kurz davor habe ich draußen noch Schnee geschippt. Dieses Bücken ist eine Bewegung, die ich am Tag so oft mache ... ich verstehe das nicht.«
»Wenn Sie sich gebückt haben, Tom, dann war es nicht aus den Beinen heraus.«
Betreten sieht er zwischen seiner Frau und mir hin und her. Dann deutet er auf sein Kreuz. »Jedenfalls gab es plötzlich einen stechenden Schmerz – genau hier – und dann zog es bis in die Zehen.«
Während er spricht, wandert mein Blick erneut zu seiner Tochter. Dieses Hin- und Herschaukeln hat etwas Beruhigendes an sich.
Wieder vergehen einige Sekunden, unbeabsichtigt dieses Mal, bis ich bemerke, dass Tom seine Beschreibung des Vorfalls beendet hat und nun eine Reaktion von mir erwartet.
Schnell stehe ich auf und öffne meinen kleinen Koffer, den ich auf dem Couchtisch vor mir abgestellt hatte. »Das klingt wieder nach einem üblen Hexenschuss, Tom. Wenn nicht schlimmer. Sie wissen, dass ich kein Arzt bin, aber es wäre gut, wenn Sie mir genau zeigen könnten, wo es schmerzt.«
Tom sieht nicht gerade begeistert aus. Ein tiefes Seufzen entringt sich seiner Kehle.
»Keine Angst, ich tue Ihnen nicht weh.«
Ich stelle das Massageöl bereit und helfe ihm, sich auf dem Sofa zur Seite zu drehen. Kristin kommt dazu und zupft das Hemd ihres Mannes aus dem Hosenbund, während ich ein wenig Öl zwischen meinen Händen verreibe und sie warm knete. Toms Muskulatur ist völlig verspannt. Er zuckt zusammen, als ich ihn berühre.
»Schon gut. Sagen Sie mir einfach, wenn ich den richtigen Punkt habe«, bitte ich ihn und schließe meine Augen. Noch bevor er den Mund aufmacht, spüre ich es.
»Da!«
»Ja. Das ist genau die gleiche Stelle wie beim letzten Mal.«
Ich massiere behutsam über seine Seiten. Er entspannt sich etwas und atmet nun tiefer. Gut. Die folgende Nachricht wird ihm die Luft wieder rauben, also zögere ich sie so lang wie möglich heraus. Doch bald schon ist das Öl aufgebraucht und Toms Schonfrist damit abgelaufen.
»Es ehrt mich ja, dass Sie mich sofort angerufen haben, aber ich befürchte, dass Sie dieses Mal
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