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Delete: Thriller (German Edition)

Delete: Thriller (German Edition)

Titel: Delete: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg , Karl-Ludwig von Wendt
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sie in World of Wizardry verbracht hatte, um ihre Spielfigur zu entwickeln. Wie viele Abenteuer hatte sie erlebt, wie viele gefährliche Situationen überstanden, um ihren Halbork auf Level 35 zu bringen? Immerhin war die Figur nicht endgültig verloren, doch allein die Doppelaxt mit dem magischen Beschleunigungseffekt hatte fast 20 0 000 Goldflorin gekostet – der Ertrag Dutzender Spielstunden, in denen sie gut bezahlte Aufträge erledigt oder die Schätze von Monstern geplündert hatte.
    Noch schlimmer: Die Feuergilde würde sich über den misslungenen Raid lustig machen. Eine andere Gruppe in einem Moment der Schwäche anzugreifen, war per se schon nicht besonders gut fürs Image. Aber diesen Angriff dann auch noch zu vermasseln, das ging gar nicht. Ihr Ruf innerhalb und außerhalb der Gilde des Weißen Baums war ruiniert.
    Sie holte tief Luft. Es ist nur ein Spiel, versuchte sie sich einzureden. Du nimmst das viel zu ernst. Es ist nicht die Wirklichkeit. Aber warum ärgerte sie sich dann ebenso sehr, als hätte jemand ihr das Portemonnaie gestohlen? War das noch verständlicher Frust über ein unbefriedigendes Freizeiterlebnis oder schon echte Spielsucht? Bisher hatten weder ihr Informatikstudium noch ihr Nebenjob bei einer Softwarefirma ernsthaft unter ihrem Engagement in World of Wizardry gelitten. Aber hatte sie in letzter Zeit nicht immer weniger Kontakt zu anderen Menschen gehabt – Menschen aus Fleisch und Blut, nicht bloß Onlinespielgefährten? Wann war sie zuletzt auf einer Party gewesen? Sie erschrak, als sie merkte, wie lange sie darüber nachdenken musste.
    Mit einem unguten Gefühl im Bauch leerte sie die Teetasse und versuchte erneut, Thomas über Skype zu erreichen.

3.
    Kriminaldirektor Joachim Greifswald lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück, die Arme vor der Brust verschränkt.
    »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Herr Eisenberg«, sagte er in verständnisvollem Tonfall. »In so einer Situation ist es ganz normal, dass einem mal die Nerven durchgehen.«
    Eisenberg musterte seinen zehn Jahre jüngeren Vorgesetzten, der die Hauptabteilung Organisierte Kriminalität im Hamburger Landeskriminalamt seit einem halben Jahr leitete. Sein früherer Chef hätte Eisenberg wahrscheinlich angebrüllt, ihm Vorwürfe gemacht, dass er den Einsatz vermasselt hatte. Damit hätte er umgehen können. Doch diese herablassende Milde in Greifswalds Stimme war kaum zu ertragen. Er führte sich auf, als seien sämtliche Hamburger Polizisten und insbesondere die Mitarbeiter seiner eigenen Hauptabteilung Vollidioten. Er hielt sich offensichtlich für etwas Besseres, weil er im Rahmen eines internationalen Partnerschaftsabkommens eine Zeit lang bei der New Yorker Polizei gearbeitet hatte – der härtesten Polizei der Welt, wie er nicht müde wurde zu betonen.
    Eisenberg bemühte sich, in neutralem, sachlichem Ton zu antworten.
    »Mir sind nicht die Nerven durchgegangen. Ich habe den Befehl zum Zugriff gegeben, um das Leben des Mädchens zu schützen.«
    »Aus Ihrem Einsatzbericht geht nicht hervor, dass das Leben des Mädchens akut bedroht war«, sagte Greifswald mit seinem idiotischen pseudoamerikanischen Akzent, als hätte er in gerade mal vier Jahren USA-Aufenthalt verlernt, richtig Deutsch zu sprechen. Man erzählte sich, dass er großen Wert darauf legte, von seinen Vertrauten »Joe« genannt zu werden.
    »Einer der beiden Täter hatte eine Pistole auf sie gerichtet.«
    »Hat er abgedrückt?«
    »Nein. Genau um das zu verhindern, habe ich ja den Befehl zum Zugriff gegeben.«
    »Und Sie waren sich sicher, dass er abgedrückt hätte.«
    »Ich hielt diese Möglichkeit angesichts der Flucht des Mädchens und der allgemeinen Umstände für sehr wahrscheinlich.«
    »Was hätten Sie anstelle des Täters getan?«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
    »Was ist daran so schwer zu verstehen? Ich würde gern wissen, wie Sie sich verhalten hätten, wenn Sie der Mädchenhändler gewesen wären. Eines ihrer Mädchen flieht. Hätten Sie auf sie geschossen und damit die Ware, die Sie verkaufen wollen, beschädigt?«
    Eisenberg antwortete nicht.
    Greifswald seufzte theatralisch. »Wie oft habe ich schon gesagt: ›Denkt wie der Gegner‹? Wenn Sie meine Anweisung befolgt hätten, wäre Ihnen klar gewesen, dass der Täter niemals auf das Mädchen geschossen hätte. Wie alt war die Kleine? Vierzehn? Welche Chance hätte sie gehabt, einem durchtrainierten Kerl wie ihm zu entkommen, ausgehungert wie sie war? Er hatte eine Waffe

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