Delhi Love Story
du schuld. Du hast mich immer zu Verrücktheiten angestiftet. Ich kann noch heute kaum glauben, dass ich im Sari meiner Mutter durch die Straßen stolziert bin.«
»Du solltest doch Obi-Wan Kenobi sein!«
»Die Nachbarn haben sogar Fotos gemacht! Raghu hat mich noch ewig damit aufgezogen!«
»Hättest du ihm eben eine runtergehauen.«
Sein Grinsen ist entwaffnend. Ich ertappe mich dabei, wie ich zurücklächle. Er wirft den Ball kräftig in die Zimmerecke; er springt zurück und ich fange ihn mit der linken Hand.
»Nicht schlecht!«
»Jetzt bist du dran!«
Mühelos fängt er den Ball, den ich kräftig weggeschleudert habe. »Hey, Ani.«
»Was denn?«
»Komm, wir gehen Tennis spielen.«
Tennis. Durch die Bambusrollos an seinen Fenstern leuchtet die Sonne grellorange. »Wie heiß ist es denn draußen?«, frage ich ihn.
»So 40, 41 Grad.«
»Celsius? Das sind ja 110 Grad Fahrenheit.«
»Na und? Hast du Angst?«
Das Spiel ist anstrengend und dauert drei Sätze. Ich jage dem Ball vom einen Ende des Platzes zum anderen hinterher und vermute, dass er mich den zweiten Satz gewinnen lässt, um meine Tortur in die Länge zu ziehen. Am Ende hänge ich erschöpft über dem Netz. Ich fühle mich gut, die Beine zittern, mein Kopf ist so frei wie schon lange nicht mehr. Ich sehe zu, wie er die Bälle aufsammelt und die Schläger in seiner Sporttasche verstaut. Er wirft sich die Tasche locker über die Schulter und läuft in meine Richtung, als habe er sich gerade erst aufgewärmt. Schweißtropfen rinnen mir von der Schläfe ins Ohr. Ich wische sie weg, mein Arm schmerzt von der plötzlichen Bewegung.
»Komm«, sagt er, »lass uns gehen.«
»Nein danke. Ich glaube, ich bleibe noch ein bisschen hier. Sag Ma, sie soll den Spachtel nicht vergessen, wenn sie mich nachher vom Boden abkratzt.«
»Dann müssen wir wohl auf das Eis verzichten.«
»Eis?«
»Gleich da hinten steht immer ein Eisverkäufer. Aber wenn dir das zu weit ist … «
Ich raffe mich auf und sage, ich könnte es vielleicht doch schaffen. Er zieht mich zu sich heran, umarmt mich fest, wie früher.
Es fühlt sich gut an, er fühlt sich gut an durch sein nasses T-Shirt. Ich lehne mich an ihn, ich bin zu müde,
um mich gegen gute Gefühle zu wehren. Seltsam, denke ich, während wir zusammen den Pfad hinuntergehen. Seltsam, dass sich so wenig verändert hat, dass er immer noch derselbe ist. Obwohl er jetzt seinen Geldbeutel in der Gesäßtasche seiner Jeans trägt und die Rupienscheine nicht mehr wie früher einfach so in die Hose stopft. Obwohl er seinen Gang verlangsamen muss, um mit mir Schritt zu halten. Obwohl er lange, kräftige Finger hat, die meine Schulter umfassen. Als ich stolpere, wird sein Griff einen Moment lang fester.
»Vorsicht!«
»Meine Beine sind wie Wackelpudding.«
»Dein Serve-and-Volley-Spiel war ziemlich beeindruckend. «
»Du hast mich fertiggemacht.«
»Du solltest dich beim Schulteam bewerben.«
Trotz der Hitze zittere ich.
Die Schule. Wenn wir in Indien leben, muss ich natürlich auch hier zur Schule gehen. Ma fände es sinnvoll, wenn ich auf Keds’ Schule ginge.
»Die NPS ist eine gute, ordentliche Schule, Isha«, hatte Tante Tara ihr am Telefon versichert. »Die Schüler sind gut, es gibt ein großes Angebot von Aktivitäten nach der Schule, der Unterricht bewegt sich auf hohem Niveau. Der Direktor ist ein wenig seltsam, aber wer ist das nicht? Ich werde einen Termin für euch vereinbaren. «
Ohne wirklich mit Mas Zustimmung zu rechnen, schlug ich vor, ein Jahr schulfrei zu nehmen.
»Was willst du denn stattdessen machen?«, fragte sie.
»Zu Hause lernen? Viel lesen. Geschichte, Politik, kulturelles Zeug. Etwas über meine Wurzeln erfahren.«
»Das ist eine wunderbare Idee, Ann.«
»Findest du?«
»Ja, und wo könntest du besser etwas über deine Wurzeln lernen als in der Schule?«
»Aber –«
»Zweitausend Schüler, stell dir das doch mal vor! Das sind quasi zwei Millionen Anknüpfungspunkte.«
»Aber Ma –«
»Ach, das wird ein tolles Abenteuer!«
»Ja?«
»Ich wünschte, ich könnte mit dir tauschen!«
»Aber vielleicht –«
»Natürlich kann ich das nicht. Ich hatte schon meinen Spaß. Jetzt bist du an der Reihe.«
Spaß. Wie jedes Jahr würde auch dieses irgendwann vorbeigehen.
»Hier gibt es das Eis.«
Überrascht blicke ich auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir am Ende des Pfades angekommen waren. Hinter den dichten Bäumen liegt der Hinterausgang der Wohnanlage. Davor steht ein
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