Delhi Love Story
zurück. Seine Beine wanden sich unter mir, bis wir wieder festen Boden erreicht hatten. Schweißgebadet blieben wir liegen.
Keds lachte zuerst. Er atmete hektisch. »Mann, Ani … das war unglaublich! Fast wären wir …« Er schüttelte den Kopf. Auf seiner Stirn klebten Steinchen, auf seiner Wange gelber Staub.
Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Ich heiße Annie «, keuchte ich.
Er lachte und rollte seinen nassen Körper auf mich. Als er seinen Mund auf meinen drückte, schien der Felsen in zwei Teile zu bersten.
»Du bist bestimmt aufgeregt.«
Als die Fahrstuhltüren sich öffnen, wird mir für einen kurzen Moment schwindlig. Ich halte mich fest und folge Ma in den Aufzug. Lautlos setzt er sich in Bewegung. Ich konzentriere mich mit aller Kraft auf den Notrufknopf.
»Ann, weißt du noch, wie du den ganzen Tag mit Keds draußen in der Sonne gespielt hast? Manchmal haben wir uns solche Sorgen um euch gemacht! Damals beim Picknick, als ihr ganz sonnenverbrannt und fiebrig zurückkamt, dachten wir, ihr hättet einen Hitzschlag! Wir hätten fast unseren Flug storniert.«
Sie lächelt mild und erwartet eine Antwort.
»Wirklich?«, frage ich.
»Erinnerst du dich denn nicht?«
»Das ist lange her, Ma.«
Vor der Tür mit der Nummer 414 stehen ausladende, grüne Pflanzen in Tontöpfen. Ma berührt eines der glänzenden Blätter. »Die sind echt!«, staunt sie.
»Vielleicht hat Tante Tara plötzlich einen grünen Daumen. «
»Oder sie wurde von Außerirdischen ausgetauscht.«
Ma und Tante Tara. Ma behauptet, die beiden hätten sich in der Cafeteria am College kennengelernt, als sie darüber stritten, ob bestimmte hässliche Poster aufgehängt werden sollten oder nicht – dieses schlimme Verbrechen
habe Ma gerade noch verhindern können. Tante Tara ist der Überzeugung, mit Ma zum ersten Mal beim Halbfinale eines Tanzwettbewerbs gestritten zu haben, weil diese ihre Schnürsenkel zu Schmetterlingen statt zu Schleifen gebunden habe – »und was sagt uns das über deine Mutter?« Wie auch immer der erste Konflikt zustande gekommen war: Nachdem sich die Gemüter beruhigt hatten, waren die beiden schnell unzertrennlich geworden. Obwohl das jeweilige Familienleben, die verschiedenen Universitäten und das Leben als solches sich alle Mühe gaben, die beiden voneinander zu trennen, schafften sie es doch immer, in Kontakt zu bleiben.
Die Tür wird unversehens aufgerissen und das Gesicht dahinter stößt ohne Vorwarnung ein lautes Kreischen aus. » Isha ! Oh mein Gott, und Annie ! Bist du das? Um Himmels willen !«
Ich hatte vergessen, wie Tante Tara ist, wenn sie aufgeregt ist und sich freut. 1,75 Meter Energie und 90 Kilo Begeisterung werfen sich mir entgegen und umarmen mich so fest, dass mir die Luft wegbleibt. Ich zappele und sehe aus dem Augenwinkel das mitfühlende Lächeln von Onkel Sunny.
»Tara, lass Annie los«, sagt er. »Du erdrückst sie noch!«
»Aber sieh sie dir doch an! Wie hübsch sie ist! Und ihre Haare!«
Ich erkläre ihr nach Luft ringend, das sei alles Mas Schuld.
»Ach Isha, komm her! Nach all den Jahren!«
»Tara, nicht so fest!«
Aber sie ignoriert das Flehen. In dem Moment fällt mir ein, dass Tante Tara fast alles ignoriert. »Ich habe dich so vermisst!«, sagt sie zu Ma. »Und sieh nur, du bist so dünn wie eh und je! Und dieser Busen! Wie schaffst du es bloß, dass er so straff bleibt? Meiner hat sich schon vor Jahren Richtung Süden aufgemacht!«
»Gnade, Mama!«
Die Stimme klingt verwirrt und ironisch. Sie ist seltsam vertraut und klingt doch, als gehöre sie einem Riesen. Er lehnt am gegenüberliegenden Fenster und versperrt den Ausblick.
»Kedar?« , fragt Ma.
»Hi, Tante Isha.«
Ich verstehe das nicht. Seine Stimme ist so anders. Während er Ma umarmt, starre ich auf seinen Rücken. Der Rücken ist auch anders. Seine Beine sind lang, das T-Shirt sitzt locker, er wirkt ungezwungen.
»Unglaublich!«, höre ich Ma sagen. »Keds, wenn ich ein Mädchen aus deiner Klasse wäre! Was gibst du ihm bloß zu essen, Tara? Sieh ihn dir doch an, Ann!«
Ich sehe ihn mir an.
»Hi, Ani«, sagt die fremde Person.
»Hi, Keds«, höre ich mich antworten.
Tante Tara scheucht uns gleich in Keds’ Zimmer. »Ihr zwei habt euch bestimmt ganz viel zu erzählen.«
Fast hätte ich »nicht wirklich« geantwortet, aber Keds ist schon vorausgegangen.
Auf dem Weg zu Keds’ Zimmer kommen mir unsere
Schritte besonders laut vor. Mein Blick wandert zu seinen Schultern, die soviel breiter
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