Delia 1 - Delia, die weisse Indianerin
besonders, wenn er vergnügt ist, hoch aufgeringelt, und er wackelt mit dem ganzen kleinen Körper. Dieser Anblick war für Delia immer wieder so vergnüglich, dass sie es einfach nicht über sich brachte, dem kleinen Kerl böse zu sein.
„O Professor!“ rief sie. „Was machst du nur für Geschichten? Du weißt doch genau, dass Mademoiselle dich nicht leiden kann!“
Aber der Mops namens Professor entnahm diesen Worten nur, dass seine Herrin ihm verziehen hatte. Mit einem Satz war er auf ihrem Schoß, und Delia brauchte beide Hände, um ihn davon abzuhalten, ihr Gesicht abzulecken. So fand das entrüstete Fräulein Müller die beiden vor, als sie wieder ins Zimmer zurücckam. „Aus! Schluss!“ sagte sie und ließ sich auf das zierliche Sofa sinken. „Das ist zuviel! Geh nach Hause, Delia. Ich erwarte dich nächste Woche um die gleiche Zeit!“
„Aber ... es ist doch noch nicht vier!“
„Willst du mir vielleicht erklären, wie wir den Unterricht in Anwesenheit dieses ...“ Sie war nahe daran, ein böses Wort zu gebrauchen, besann sich dann aber auf ihre gute Erziehung und sagte: „ ... dieses Mopses fortsetzen sollen?“
„Er wird bestimmt ganz brav sein!“ versprach Delia ein wenig atemlos und versuchte, den Mops wieder auf den Boden zu setzen. „Platz, Professor! Ja, so ist’s recht!“
Der Mops hatte Platz gemacht und sah mit seinen runden, leicht vorstehenden Augen aufmerksam von seiner Herrin auf Mademoiselle Müller, wie wenn er bemüht wäre, alles genau zu begreifen.
„Da sehen Siel“ rief Delia triumphierend. „Wie brav er ist! Soll ich noch einmal spielen?“
Mademoiselle Müller wehrte entsetzt ab. „Nur nicht! Ich kenne deinen Professor! Er fängt an zu heulen, sobald du auch nur eine Taste berührst!“
„Er ist eben musikalisch“, murmelte Delia.
Mademoiselle Müller öffnete ihren kleinen, hübsch bestickten Beutel, einen sogenannten Pompadour, zog ein Riechfläschchen daraus hervor und hielt es sich unter die Nase.
„Bitte“, sagte sie und schloss erschöpft die Augen, „bitte geh jetzt! Lass mich allein!“
Delia stand auf, packte ihre Noten in die flache Mappe, knickste artig. „Auf Wiedersehen, Mademoiselle!“
„Au revoir, mein Kind!“ sagte Mademoiselle Müller, ohne die Augen zu öffnen.
Delia setzte sich ihren Schutenhut mit den langen Bändern auf, schlich sich auf Zehenspitzen, den Mops dicht hinter sich, zur Tür. Dann drehte sie sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, noch einmal um.
„Sie werden doch meiner Mama nichts erzählen, Mademoiselle?“
„Eigentlich wäre es ja meine Pflicht“, sagte Mademoiselle Müller müde. „Aber – mon Dieu – die Ärmste hat auch ohnedies genug Sorgen!“
Delia knickste erleichtert noch einmal. „Vielen Dank, Mademoiselle! Und den Professor werde ich das nächste Mal zu Hause einsperren, darauf können Sie sich verlassen!“
Delia lief aus der Wohnung, hüpfte die Treppe hinunter und auf die Straße. Der kleine Mops umsprang sie sehr vergnügt.
Im Schatten des Haustores blieb Delia mit erhobenem Zeigefinger vor ihrem Hund stehen. „Platz!“ sagte sie streng. „Ich muss mit dir reden, Professor!“
Der Mops ließ sich auf die Hinterpfoten nieder und richtete sein graues Gesichtchen treuherzig nach oben.
„Du bist wohl jetzt stolz auf dich, wie? Weil du mich aus der Klavierstunde herausgeholt hast?“
Der Mops begann mit dem Hinterteil zu wackeln.
„Aber das war nicht recht von dir“, sagte Delia ernsthaft. „Das war ein böser, böser Streich! So etwas tut ein braver Hund nicht, hörst du? Eigentlich müsste ich dich jetzt verhauen, aber ... na, du kennst mich ja, du weißt, dass ich das nicht übers Herz bringe! Doch du musst mir versprechen, dass du so etwas nie wieder tust!“ Delia ging in die Knie und streckte ihre Hand aus.
Der Mops legte sein Pfötchen hinein. „Ehrenwort also“, sagte Delia befriedigt. „Wir dürfen der Mama keinen Kummer machen! Sie wird schon von Tag zu Tag blasser und trauriger!“
Sehr zufrieden mit sich und ihrer kleinen Strafpredigt erhob sich Delia und wandelte würdevoll durch die Straßen der kleinen Stadt. Sie kannte hier jeden Menschen, und sie musste mindestens alle fünf Schritte jemanden grüßen.
Auch der Mops kannte jeden Einwohner der kleinen Stadt, und auch er grüßte auf seine Weise – die einen schwanzwedelnd, die anderen mit bösem Gekläff, und aus seinem Verhalten hätte man leicht schließen können, wen seine kleine Herrin wirklich
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