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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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hinunter zum Zwischendeck.
    Sie hörte ein Baby weinen, einen Mann schimpfen, andere Stimmen mischten sich ein – anscheinend waren die meisten Auswanderer schon heute auf die „Gutenberg“ gekommen. Ob ihr Onkel, ihre Tante, Babette und die Vettern auch schon da waren?
    Sie huschte an dem offenen Eingang zum Zwischendeck vorbei – falls einer der Auswanderer sie sah, würde er sie sicher für einen Schiffsjungen halten. Delia tastete sich zu einer weiteren Treppe vor, die in den Schiffsbauch führte, und kletterte hinab.
    Hier unten war es so dunkel, dass man nicht die Hand vor den Augen sah. Delia öffnete ihren Mantelsack, suchte eine Kerze heraus, die Katinka ihr vorsorglich eingepackt hatte, und zündete sie an.
    Linker Hand lagen Ballen, dazwischen Truhen, Kisten und Koffer, das Gepäck der Auswanderer, rechts stapelten sich Kisten und Fässer, der Schiffsproviant.
    Delia vergewisserte sich, wo die Wasserfässer standen. Dann kletterte sie über das Auswanderergepäck ganz nach hinten und ließ sich, von einer hohen Truhe gedeckt, auf einem Ballen mit Bettzeug nieder. Sie hätte nur zu gern ihre Kerze brennen lassen, aber sie wagte es nicht. Jedem, der in den Schiffsbauch hinabstieg, musste der Lichtschein auffallen, und außerdem hatte sie nur die eine, und die würde in wenigen Stunden abgebrannt sein.
    So löschte sie denn die kleine Flamme aus und versuchte, es sich im Dunkel einigermaßen behaglich zu machen. Sie schob sich ihren Mantelsack unter den Kopf, aber da war etwas Hartes, das sie drückte. Sie öffnete ihn noch einmal, tastete nach dem harten Gegenstand und fand Kaspars Mundharmonika. Er hatte sie ihr als Abschiedsgeschenk hineingetan. Der gute Kaspar! Ach, wenn er doch hier wäre! Oder Katinka!
    Delia seufzte schwer, legte die Mundharmonika an ihre Lippen und spielte leise, ganz leise eine kleine Melodie. Darüber fielen ihr ganz allmählich die Augen zu.
    Aber da hörte sie ein scharrendes, knarrendes Geräusch, und plötzlich war sie wieder hellwach. Sie spürte, dass sie nicht allein hier unten im Schiffsbauch war. Was war das nur, was da knabberte und tappte, nagte und kratzte?
    Ratten! durchfuhr es Delia, und fast hätte sie vor Schreck laut aufgeschrien. Sie konnte gerade noch die Hand auf den Mund pressen, um ihren Schrei zu unterdrücken.
    An Schlafen war jetzt nicht mehr zu denken. Delia setzte sich aufrecht hin, umschlang die Knie mit den Armen und lauschte auf jedes der leisen und doch so vielfachen Geräusche. Sie fühlte, wie ihr in der stickigen Luft der Schweiß aus allen Poren brach.
    „Noch kannst du zurück“, sagte sie sich leise. „Du brauchst nur aufzustehen und nach oben zu gehen. Nichts wird dir passieren. Sie werden dich nach Hause schicken oder nach Hannover, das ist alles. Aber wenn du dich jetzt nicht meldest, musst du tagelang hier unten hocken bleiben. Nein, das ist nicht auszuhalten!“
    Dann widersprach sie sich fast im gleichen Atemzug selbst: „Du darfst nicht aufgeben, Delia, du musst durchhalten! Denk an deinen Vater! Vielleicht geht es ihm viel schlimmer als dir! Du musst zu ihm, du musst ihm helfen, ihn vielleicht gar befreien!“
    Mit klappernden Zähnen saß Delia da und begann halblaut zu beten. Ja, der liebe Gott sah sie sicher, er konnte auch bis hier unten in den Schiffsbauch hinabsehen. Er würde sie bestimmt beschützen.
    Aber wenn er nichts mehr von ihr wissen wollte? Wenn er sagte: „Recht so, Delia hat eine Strafe verdient! Sie war ungezogen, sie ist ausgerissen, sie hat gelogen!“
    Oh, wie viel hatte sie in letzter Zeit gelogen, eine Lüge war zur anderen gekommen! Sie hatte es bestimmt verdient, im Dunkeln mit Ratten und Mäusen eingesperrt zu werden.
    Delia konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie weinte vor Angst, vor Verzweiflung und vor Reue.
    „Nie mehr!“ nahm sie sich vor. „Nie, nie mehr werde ich lügen! Lieber Gott, lass mich nicht im Stich, hilf mir noch einmal!“
    Plötzlich merkte sie, dass es ganz still um sie herum geworden war. Das Nagen und Knabbern und Huschen hatte aufgehört. Dafür war ein anderes Geräusch da: das Tappen von vier kräftigen Pfoten, ein Schnüffeln und dann – ein leises, unterdrücktes Bellen!
    Delia traute ihren Ohren nicht. „Professor?“ rief sie in die Dunkelheit hinein.. „Professor?“
    Da sprang etwas über Ballen und Truhen und Kisten, hopste ihr auf den Schoß, und eine feuchte Hundezunge fuhr ihr durch das Gesicht.
    Delia konnte in der Dunkelheit ihren dunkelgrauen

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