Delirium
auf der Türschwelle und hinter ihr reibt sich Jenny die Augen, als wäre sie überzeugt zu träumen. Sogar die Aufseher â beide â halten oben an der Treppe inne.
Diese Sekunde ist alles, was ich brauche. Ich drücke noch einmal und das Fliegengitter wackelt, fliegt nach drauÃen und landet klappernd auf der StraÃe. Und bevor ich darüber nachdenken kann, was ich tue oder wie tief es vom ersten Stock bis zur StraÃe ist, schwinge ich mich aus dem Fenster und stoÃe mich ab. Die Luft streichelt mich wie eine Umarmung, so dass mein Herz einen Moment lang erneut singt und ich denke: Ich fliege .
Dann komme ich mit solcher Wucht auf dem Boden auf, dass meine Beine unter mir nachgeben und es mir den Atem verschlägt. Ich knicke mit dem linken Knöchel um und ein zerrender Schmerz durchzuckt meinen ganzen Körper. Auf allen vieren rutsche ich weiter und kugele an den Zaun. Ãber mir hat das Schreien wieder eingesetzt und kurz darauf wird die Haustür aufgerissen und zwei Männer rennen heraus.
»Lena!« Das ist Alexâ Stimme. Ich sehe auf. Er beugt sich über den Maschendrahtzaun und streckt die Hand nach mir aus. Ich recke einen Arm hoch und er packt mich am Ellbogen und zieht mich fast über den Zaun. Ich bleibe mit meinem Tanktop daran hängen, zerreiÃe den Stoff, zerkratze mir die Haut. Es ist keine Zeit, um Angst zu haben. Auf der Veranda hört man ein lautes Rauschen. Ein Aufseher brüllt in sein Walkie-Talkie. Der andere lädt ein Gewehr. Eigenartigerweise kommt mir mitten in all dem Chaos der blödsinnige Gedanke: Ich wusste gar nicht, dass Aufseher Gewehre tragen dürfen.
»Schnell!«, ruft Alex. Ich klettere hinter ihm auf das Motorrad und schlinge die Arme fest um seine Taille.
Die erste Kugel trifft direkt rechts von uns den Zaun. Die zweite prallt klirrend von der Wand ab.
»Los!«, schreie ich und Alex gibt Gas, gerade als eine dritte Kugel an uns vorbeisaust, so nah, dass ich den Luftzug spüren kann.
Wir rasen nach vorn zum Ende des Durchgangs. Alex reiÃt den Lenker nach rechts, so dass wir auf die StraÃe hinausschleudern und das Motorrad sich so weit zur Seite neigt, dass meine Haare über den Asphalt streifen. Mein Magen macht einen Riesensatz und ich denke: Das warâs , aber wundersamerweise richtet sich das Motorrad wieder auf und dann brausen wir durch die dunkle StraÃe, während die Schreie und die Schüsse hinter uns zurückbleiben.
Die Stille hält jedoch nicht lange an. Als wir in die Congress Street einbiegen, höre ich das Heulen von Sirenen, die immer lauter werden. Ich will Alex sagen, dass er schneller fahren soll, aber mein Herz hämmert so heftig, dass ich die Worte nicht aussprechen kann. AuÃerdem würde meine Stimme im wütenden Peitschen des Fahrtwindes sowieso untergehen, und ich weiÃ, er fährt schon, so schnell er kann. Die Gebäude rechts und links von uns sind ein einziger verschwommener Fleck, eine graue und formlose Masse wie aus geschmolzenem Metall. Die Stadt ist mir noch nie so fremd vorgekommen, so schrecklich und deformiert. Das Heulen der Sirenen schneidet wie eine dünne Klinge wild in mir hin und her. In den Gebäuden um uns herum gehen flackernd Lichter an, als die Leute aus dem Schlaf gerissen werden. Am Horizont geht die Sonne auf, rostfarben, die Farbe alten Blutes, und ich habe solche Angst, qualvoll, bohrend, schlimmer als jeder Albtraum.
Dann tauchen aus dem Nichts plötzlich zwei Mannschaftswagen am Ende der StraÃe auf und versperren uns den Weg. Aufseher und Polizisten â Dutzende, alle nur Köpfe und Arme und schreiende Münder â strömen auf die StraÃe hinaus. Stimmen dröhnen, durch Funkgeräte und Megafone verstärkt und verzerrt.
»Stehen bleiben! Stehen bleiben! Stehen bleiben oder wir schieÃen!«
»Halt dich fest!«, ruft Alex und ich kann spüren, wie sich seine Muskeln unter mir anspannen. Im letzten Moment reiÃt er den Lenker nach links und wir biegen in eine enge Gasse, wobei wir die Backsteinmauer streifen. Ich schreie auf, als mein rechtes Bein gegen die Mauer gedrückt wird. Ich schürfe mir das Schienbein auf, als wir mehrere Sekunden lang an dem Gebäude entlangschleudern, bevor Alex das Motorrad wieder unter Kontrolle bekommt und wir vorwärtsschieÃen. Sobald wir am anderen Ende der Gasse hinausrasen, biegen zwei weitere Streifenwagen hinter uns ein.
Meine
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