Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Schilderhause gleicht und mit allerlei Quasten und Troddelwerk behangen ist. In diesem Belle-vue sitzt die Dame. Die ganze Figur erreicht eine außerordentliche Höhe, und wenn sie am Horizont erscheint, so könnte man sie infolge des schwankenden Ganges der Kamele für einen riesigen Schmetterling oder für eine gigantische Libelle halten, welche die Flügel auf und nieder schlägt.
Unser Erscheinen machte in jeder Gruppe, bei welcher wir ankamen, großes Aufsehen. Ich selbst trug daran wohl weniger Schuld als Sir Lindsay, dem ja ebenso wie seinen Dienern auf den ersten Blick der Europäer anzusehen war. Er mußte in seinem graukarrierten Anzuge hier noch mehr auffallen, als ein Araber, der in seiner malerischen Tracht vielleicht auf einem öffentlichen Platze Münchens oder Leipzigs erschienen wäre. Unsere Führer ritten uns voran, bis wir endlich ein außerordentlich großes Zelt erblickten, vor welchem viele Lanzen in der Erde steckten. Dies war das Zeichen, daß es das Zelt des Häuptlings sei. Man war soeben beschäftigt, rund um dasselbe einen Kreis anderer Zelte zu errichten.
Die beiden Araber sprangen ab und traten ein. Nur wenige Augenblicke später erschienen sie in Begleitung eines Dritten wieder. Dieser hatte die Gestalt und das Äußere eines echten Patriarchen. Just so mußte Abraham ausgesehen haben, wenn er aus seinem Hause im Haine Mamre trat, um seine Gäste zu begrüßen. Der schneeweiße Bart hing ihm bis über die Brust herab, dennoch aber machte der Greis den Eindruck eines rüstigen Mannes, der im stande ist, eine jede Beschwerde zu ertragen. Sein dunkles Auge musterte uns nicht eben einladend und freundlich. Er hob die Hand zum Herzen und grüßte: »Salama!«
Dies ist der Gruß eines eingefleischten Mohammedaners, wenn ein Ungläubiger zu ihm kommt; dagegen empfängt er jeden Gläubigen mit dem Sallam aaleïkum.
»Aaleïkum!« antwortete ich und sprang vom Pferde.
Er sah mich ob dieses Wortes forschend an; dann fragte er:
»Bist du ein Moslem oder ein Giaur?«
»Seit wann empfängt der Sohn des edlen Stammes der Schammar seine Gäste mit einer solchen Frage? Sagt nicht der Kuran: ›Speise den Fremdling und tränke ihn; laß ihn bei dir ruhen, ohne seinen Ausgang und seinen Eingang zu kennen!‹ – Allah mag es dir verzeihen, daß du deine Gäste wie ein türkischer Khawasseempfängst!«
Polizist.
Er erhob wie abwehrend die Hand.
»Dem Schammar und dem Haddedihn ist jeder willkommen, nur der Lügner und der Verräter nicht.«
Er warf dabei einen bezeichnenden Blick auf den Engländer.
»Wen meinest du mit diesen Worten?« fragte ich ihn.
»Die Männer, welche aus dem Abendlande kommen, um den Pascha gegen die Söhne der Wüste zu hetzen. Wozu braucht die Königin der Inselneinen Konsul in Mossul?«
Königin von England.
»Diese drei Männer gehören nicht zu dem Konsulat. Wir sind müde Wanderer und begehren von dir weiter nichts, als einen Schluck Wasser für uns und eine Dattel für unsere Pferde.«
»Wenn ihr nicht zum Konsulat gehört, so sollt ihr haben, was ihr begehrt. Tretet ein und seid mir willkommen!«
Wir banden unsere Pferde an die Lanzen und gingen in das Zelt. Dort erhielten wir Kamelmilch zu trinken; die Speise bestand nur aus dünnem, hartem und halb verbranntem Gerstenkuchen – ein Zeichen, daß der Scheik uns nicht als Gäste betrachtete. Während des kurzen Mahles fixierte er uns mit finsterem Auge, ohne ein Wort zu sprechen. Er mußte triftige Gründe haben, Fremden zu mißtrauen, und ich sah ihm an, daß er neugierig war, etwas Näheres über uns zu erfahren.
Lindsay schaute sich in dem Zelte um und fragte mich:
»Böser Kerl, nicht?«
»Scheint so.«
»Sieht ganz so aus, als ob er uns fressen wollte. Was sagte er?«
»Er begrüßte uns als Ungläubige. Wir sind seine Gäste noch nicht und haben uns sehr vorzusehen.«
»Nicht seine Gäste? Wir essen und trinken doch bei ihm!«
»Er hat uns das Brot nicht mit seiner eigenen Hand gegeben, und Salz gar nicht. Er sieht, daß Ihr ein Engländer seid, und die Englishmen scheint er zu hassen.«
»Weshalb?«
»Weiß es nicht.«
»Einmal fragen!«
»Geht nicht, denn es wäre unhöflich. Ich denke aber, daß wir es noch erfahren werden.«
Wir waren fertig mit dem kleinen Imbiß, und ich erhob mich.
»Du hast uns Speise und Trank gegeben, Mohammed Emin; wir danken dir und werden deine Gastfreundschaft rühmen überall, wohin wir kommen. Lebe wohl! Allah segne dich und die Deinigen!«
Diesen
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