Herz an Herz mit dem Boss?
1. KAPITEL
Jamie war spät dran. Seitdem sie für Ryan Sheppard arbeitete, würde sie zum ersten Mal zu spät kommen. Eingepackt in ihren dicken Wintermantel stand sie auf dem Bahnsteig und sah alle zehn Sekunden auf die Uhr.
Ryan Sheppard hasste es, wenn man zu spät kam. Jamie konnte sich zugutehalten, dass sie in den vergangenen achtzehn Monaten stets überpünktlich gewesen war – doch das hieß nicht, dass er nun nachsichtiger mit ihr sein würde.
Als die Bahn schließlich einfuhr, hatte Jamie die Hoffnung, vor halb zehn im Büro zu sein, bereits aufgegeben. Widerwillig dachte sie an den Grund dafür, warum sie das Haus erst eine Stunde später verlassen hatte als sonst, und der Gedanke an ihre Schwester ließ sie alles andere vergessen. Sie fühlte, wie sie sich immer mehr verspannte, und als sie das auffällige, hochmoderne Gebäude erreichte, das RS Enterprises beherbergte, konnte sie ihre Kopfschmerzen nicht mehr leugnen.
Hinter dieser stattlichen Fassade befand sich das Herzstück des Firmenkonglomerats ihres Chefs, das seine Arme in die unterschiedlichsten Richtungen ausstreckte. Ein Heer von hoch qualifizierten, hoch motivierten und hoch bezahlten Angestellten hielt alles am Laufen, auch wenn um Viertel vor zehn kaum einer davon zu sehen war. Die meisten saßen an ihren Schreibtischen und sorgten dafür, dass in seinem Konzern alles glattging.
Normalerweise saß auch sie um Viertel vor zehn an ihrem Schreibtisch und machte ihre Arbeit.
Aber heute …
Um das Gesicht ihrer Schwester aus ihren Gedanken zu vertreiben, zählte Jamie bis zehn, dann fuhr sie mit dem Aufzug hoch in die Vorstandsetage.
Sie öffnete die Bürotür – überflüssig, herauszufinden, in welcher Laune er sich befand. Normalerweise würde er entweder nicht da sein und ihr eine Mail geschickt haben, in der er sie darüber informierte, was sie in seiner Abwesenheit zu erledigen hatte, oder er würde in seine Arbeit versunken am Schreibtisch sitzen.
Heute saß er zurückgelehnt auf seinem Schreibtischsessel, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Füße auf den Tisch gelegt.
Sogar nach achtzehn Monaten konnte Jamie noch immer nicht mit der Autorität umgehen, die von Ryan Sheppard ausging, von diesem unerträglich anziehenden und verwirrend ungewöhnlichen Mann, der ganz anders war, als man sich einen erfolgreichen Unternehmer vorstellte.
Lag es daran, dass das Kerngeschäft der Firma Computersoftware war, ein Bereich, in dem Köpfchen und Kreativität wichtiger waren als Anzüge und hochglanzpolierte Schuhe? Oder lag es daran, dass Ryan Sheppard sich so wohl in seiner Haut fühlte, dass er sich keine großen Gedanken darüber machte, was er anhatte oder was die anderen über ihn dachten?
Jedenfalls sah man ihn selten im Anzug, und wenn, dann nur, wenn er sich mit Geldgebern traf. Doch Jamie war recht schnell zu dem Schluss gekommen, dass selbst dann noch alle nach seiner Pfeife tanzen würden, wenn er in Badehosen bei einem Meeting erscheinen würde.
Sie wartete geduldig ab, während er einen bedeutsamen Blick auf die Uhr warf, die Stirn runzelte und Jamie mit seinen dunklen Augen durchdringend ansah.
„Du bist zu spät.“
„Ich weiß. Es tut mir sehr leid.“
„Du bist sonst nie zu spät.“
„Ja, also, der unzuverlässige öffentliche Nahverkehr Londons ist schuld, Sir.“
„Ich hasse es, wenn du mich Sir nennst. Falls ich irgendwann zum Ritter geschlagen werde, können wir noch einmal darüber reden, aber bis dahin heiße ich Ryan. Und du bist nicht die Einzige, die Bus oder Bahn benutzt, aber außer dir ist niemand zu spät gekommen.“
Jamie wusste nicht, was sie sagen sollte. Da sie sich die Zeit genommen hatte, sich kurz in dem luxuriösen, marmorgetäfelten Waschraum am Ende des Ganges frisch zu machen, wusste sie, dass sie nicht mehr so besorgt und verschreckt aussah wie vor zwanzig Minuten, als sie aus der U-Bahn gestiegen war. Aber ihre Nerven lagen weiterhin blank.
„Könnten wir nicht einfach mit der Arbeit anfangen und … und … Ich hole die Zeit nach, die ich zu spät gekommen bin. Ich kann die Mittagspause durcharbeiten“, versuchte sie der unangenehmen Situation auszuweichen und setzte sich an ihren Platz.
„Wenn es nicht an den öffentlichen Verkehrsmitteln liegt, dass du zu spät bist, woran liegt es dann?“ Seit eineinhalb Jahren versuchte Ryan, hinter die ruhige, undurchdringliche Fassade seiner übertüchtigen Sekretärin zu blicken, um den Menschen zu sehen, der sich
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