Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
jetzt zwei Thüren weiter! Dort wirst Du Bekannte treffen, nämlich Hadschi Halef und den Buluk Emini.«
Die Nachricht, daß der Makredsch nach Amadijah kommen könne, hatte mich zunächst mit Besorgniß erfüllt; sobald ich mich aber in dem Besitze der beiden Schriftstücke sah, mußte diese Besorgniß schwinden, und ich konnte seinem Kommen mit Ruhe entgegensehen. Ja, ich glaubte bereits, daß die Kunde von der Absetzung des Mutessarif eine Freilassung des gefangenen Haddedihn zur Folge haben könne, kam aber von dem Gedanken zurück, als ich las, daß die Feindseligkeiten gegen die Araber nicht als eine Privatsache des Mutessarif, sondern auf Befehl der Pforte unternommen seien.
Am Nachmittage trat die ›Myrte‹ in meine Stube.
»Effendi, willst Du mit in das Gefängniß?«
Das kam mir erwünscht, aber ich mußte doch erst mit Mohammed Emin reden. Darum sagte ich:
»Ich habe jetzt keine Zeit.«
»Du hast es mir aber doch versprochen und auch gesagt, daß Du den Gefangenen erlauben willst, Einiges von mir zu kaufen!«
Der Rose von Amadijah schien sehr viel an dem Gewinne zu liegen, den dieser kleine Handel ihr jedenfalls einbrachte.
»Ich würde mein Wort halten; aber ich habe leider erst in einer Viertelstunde Zeit.«
»So warte ich, Emir! Aber wir können doch nicht mitsammen gehen!«
»Ist Selim Agha dabei?«
»Nein. Er hat jetzt Dienst bei dem Mutesselim.«
»So befiehl dem Sergeanten, daß er mir öffnen möge. In diesem Falle kannst Du bereits jetzt gehen, und ich werde nachkommen.«
Sie verschwand mit heiterem Angesichte. Sie schien es gar nicht der Mühe werth zu halten, daran zu denken, ob der Sergeant mir den Zutritt erlauben werde, da ich doch weder ein Recht dazu hatte, noch die Erlaubniß seines Vorgesetzten nachweisen konnte. Natürlich ging ich sofort zu Mohammed Emin und setzte ihn von meinem bevorstehenden Besuche im Gefängniß in Kenntniß. Ich empfahl ihm, zur Flucht bereit zu sein und zunächst für seinen Sohn durch Halef heimlich einen türkischen Anzug kaufen zu lassen. Dann brannte ich mir einen Tschibuk an und stieg mit gravitätischen Schritten durch die Gassen. Als ich das Gefängniß erblickte, sah ich die Thüre desselben offen. Der Sergeant stand unter derselben.
»Sallam!« grüßte ich kurz und würdevoll.
»Sallam aaleïkum!« antwortete er. »Allah segne Deinen Eintritt in dieses Haus, Emir! Ich habe Dir viel Dank zu sagen.«
Ich trat ein, und er verschloß die Thüre wieder.
»Dank?« frug ich nachlässig. »Wofür?«
»Selim Agha war hier. Er war sehr zornig. Er wollte uns peitschen lassen, aber endlich sagte er, daß wir Gnade finden sollen, weil Du für uns gebeten hast. Sei so gütig, mir zu folgen.«
Wir stiegen die Treppe empor, welche zu finden und zu passiren mir der Agha gestern so viel Mühe gemacht hatte. Auf dem Gange stand Mersinah mit einem blechernen Kessel, welcher eine Mehlbrühe enthielt, die ganz das Ansehen hatte, als ob sie aus dem Spülwasser ihrer Küche und Schlafstätte bestehe, und auf dem Boden lag das Brod, welches ihre zarten Hände gebacken hatten. Es war einst auch Mehlwasser gewesen, hatte aber durch Feuer und anhaftende Kohlenreste eine feste Gestalt bekommen. Neben ihr standen die Arnauten, mit leeren Gefäßen in den Händen, die von einem Scherbenhaufen aufgelesen zu sein schienen. Sie verbeugten sich bis zur Erde herab, blieben aber aus Ehrfurcht stumm.
»Emir, befiehlst Du, daß wir beginnen sollen?« frug die ›Myrte‹.
»Ja.«
Sofort wurde die erste Thüre geöffnet. Der Raum, in welchen ich blickte, war auch ein Loch, doch lag der Boden desselben mit dem Gange in gleicher Höhe. Ein Türke lag darin. Er erhob sich nicht und würdigte uns keines Blickes.
»Gib ihm zwei Portionen, denn es ist ein Osmanly!« befahl der Sergeant.
Der Mann erhielt zwei Schöpflöffel voll Brühe in einem größeren Napfe und ein Stück Brod dazu. In der nächsten Zelle lag wieder ein Türke, welcher die gleiche Portion erhielt. Der Insasse des dritten Loches war ein Kurde.
»Dieser Hund erhält nur eine Portion, denn er ist ein Mann aus Balahn!«
Das war ja eine ganz allerliebste Einrichtung! Ich hätte den Kerl beohrfeigen mögen. Er führte dieses Prinzip während der ganzen Speisevertheilung durch. Als die oberen Gefangenen versorgt waren, stiegen wir hinab in den untern Gang.
»Wer befindet sich hier?« frug ich.
»Die Schlimmsten. Ein Araber, ein Jude und zwei Kurden von dem Stamme Bulamuh. Sprichst Du kurdisch,
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