Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Dir ein Effendi, welcher Hadschi Emir Kara Ben Nemsi heißt, und zwei Effendi, einen Diener und einen Baschi-Bozuk bei sich hat?«
»Ja. Was soll er?«
»Erlaube, daß ich mit ihm spreche!«
»Hier steht er.«
Selim trat zur Seite, so daß der Mann mich sehen konnte. Es war kein Anderer, als Selek, der Dschesidi aus Baadri.
»Effendi,« rief er mit großer Freude, »erlaube, daß ich Dich begrüße!«
Wir reichten einander die Hände; dabei sah ich, daß er ein Pferd Ali Bey’s ritt, welches dampfte. Er war jedenfalls sehr rasch geritten. Es war zu vermuthen, daß er mir eine Botschaft, und zwar eine sehr wichtige, zu überbringen hatte.
»Führe Dein Pferd in den Hof und komme dann herauf zu mir!« wies ich ihn an.
Als wir uns in meiner Stube und also allein befanden, griff er in den Gürtel und zog einen Brief hervor.
»Von wem?«
»Von Ali Bey.«
»Wer hat ihn geschrieben?«
»Mir Scheik Khan, der Oberste der Priester.«
»Wie hast Du meine Wohnung gefunden?«
»Ich frug gleich am Thore nach Dir.«
»Und woher weißt Du, daß zwei Effendi bei mir sind? Als ich bei Euch war, hatte ich nur Einen bei mir.«
»Ich erfuhr es in Spandareh.«
Ich öffnete den Brief. Er enthielt sehr Interessantes, einige gute Nachrichten, welche die Dschesidi betrafen, und eine schlimme, welche sich auf mich bezog.
»Was? Einen solchen Erfolg hat die Gesandtschaft Ali Bey’s gehabt?« frug ich. »Der Anadoli Kasi Askerie ist mit ihr nach Mossul gekommen?«
»Ja, Herr. Er liebt unsern Mir Scheik Khan und hat eine strenge Untersuchung gehalten. Der Mutessarif wird weggenommen; an seine Stelle kommt ein Anderer.«
»Und der Makredsch von Mossul ist entflohen?«
»So ist es. Er war an allen Fehlern Schuld, die der Mutessarif gemacht hat. Es haben sich sehr schlimme Dinge herausgestellt. Seit elf Monaten hat kein Unter-Gouverneur die nöthigen Gelder und kein Befehlshaber und kein Soldat seinen Sold erhalten. Die Demüthigung der Araber, welche die hohe Pforte anbefohlen hatte, blieb unterlassen, weil er alle Summen einsteckte, welche dazu erforderlich waren. Und so noch vieles Andere. Die Khawassen, welche den Makredsch gefangen nehmen sollten, sind zu spät gekommen; er war fort. Darum haben alle Beys und Kieijahs der Umgegend den Befehl erhalten, ihn festzunehmen, sobald er sich sehen läßt. Der Anadoli Kasi Askerie vermuthet, daß er nach Bagdad geflohen sei, weil er ein Freund des dortigen Weli gewesen ist.«
»Das ist wohl eine falsche Vermuthung! Der Flüchtling ist sicher in die Berge geflohen, wo er schwerer zu ergreifen ist, und wird lieber nach Persien als nach Bagdad gehen. Das Reisegeld kann er unterwegs sehr leicht erhalten. Er ist der Oberrichter sämtlicher Untergerichtshöfe, deren Gelder ihm zu Gebote stehen.«
»Du hast Recht, Effendi! Noch gestern abend haben wir erfahren, daß er am Morgen des vorigen Tages in Alkosch und am Abend bereits in Mungayschi gewesen ist. Es scheint, daß er nach Amadijah gehen wolle, aber auf einem Umwege, weil er die Ortschaften der Dschesidi fürchtet, die er überfallen hat.«
»Ali Bey vermuthet mit Recht, daß mir sein Eintreffen hier große Schwierigkeiten bereiten kann. Er wird mir sehr hinderlich sein, und ich kann leider nicht beweisen, daß er selbst ein Flüchtling ist.«
»O Emir, Ali Bey ist klug. Als er von dem Makredsch hörte, befahl er mir, sein bestes Pferd zu satteln und die ganze Nacht zu reiten, um noch vor dem Oberrichter hier einzutreffen, falls dieser wirklich die Absicht haben sollte, nach Amadijah zu kommen. Und als ich Baadri verließ, gab er mir zwei Schreiben mit, die er aus Mossul erhalten hat. Hier sind sie; Du sollst sehen, ob Du sie gebrauchen kannst.«
Ich öffnete sie und las. Das Eine war der Brief des Anadoli Kasi Askerie an Mir Scheik Khan, in welchem diesem die Absetzung des Mutessarif und des Makredsch mitgetheilt wurde. Das Andere enthielt die amtliche Weisung an Ali Bey, den Makredsch festzunehmen und nach Mossul zu transportiren, sobald er sich auf dessen Gebiete sehen lasse. Beide waren mit der Unterschrift und dem großen Siegel des Kasi Askerie versehen.
»Diese Papiere sind mir allerdings sehr wichtig. Wie lange kann ich sie behalten?«
»Sie sind ganz Dein.«
»Also vorgestern Abend ist der Makredsch in Mungayschi gewesen?«
»Ja.«
»So könnte er heute hier ankommen, und ich brauche diese Schreiben bloß für diesen Tag. Kannst Du so lange warten?«
»Ich warte so lange, wie Du befiehlst, Emir!«
»So gehe
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