Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
führen, wo das Mahl eingenommen werden sollte. Es waren zu demselben wohl an die vierzig Personen geladen, und außerdem kamen noch viele Andere, um sich nach orientalischer Sitte ganz ungenirt selbst zu Gaste zu bitten.
Gegen Ende des Mahles stellte es sich heraus, daß die Speisen nicht für Alle langten, und so erhielten die ›Trollgäste‹ ein lebendiges Schaf, welches sie sich gleich selbst zubereiteten. Der Eine machte ein Loch in die Erde; Andere holten Steine und Holz zur Feuerung herbei. Derjenige, welchen die Wahl getroffen hatte, ergriff das Schaf, schnitt ihm die Kehle durch und hing es mit den zusammengebundenen Vorderbeinen an einen Balkenpflock auf. Die Eingeweide wurden nicht herausgenommen, sondern der Kurde nahm einen Mund voll Wasser, hielt die Lippen an …. des Thieres und blies das Wasser hinein. Er fuhr in dieser possierlichen Beschäftigung so lange fort, bis die Eingeweide vollständig aufgebläht und nach oben hinaus ausgespült waren. Dann wurden die Gedärme in so viele Stücke zerschnitten, als Männer von dem Schafe essen sollten; auch das Fleisch des Schafes wurde in eben so viele Theile zerlegt. Nun wickelte ein jeder sein Stück Darm um sein Fleisch und legte dieses Präparat in das mit den Steinen ausgekleidete Loch, über welches ein Feuer angemacht wurde. Schon nach kurzer Zeit ward dasselbe hinweggenommen, und die halbgaren Stücke gingen zwischen den Zähnen der Kurden ihrer nützlichen Bestimmung entgegen.
Nach dem Essen zeigte uns der Bey seinen Stall. Es befanden sich in demselben über zwanzig Pferde, doch war unter ihnen nur ein Schimmel, der einer besonderen Aufmerksamkeit würdig war. Dann gab es Kampfspiele und Lieder, zu denen ein zweisaitiges Tambur die Begleitung wimmerte, und endlich wurden von einem Manne Märchen und Geschichten erzählt, Geschichten, Tschiroka: Baka ki mir – vom sterbenden Frosch; Gur bu schevan – der Wolf als Hirt; Schyeri kal – der alte Löwe; Ruvi u bizin – der Fuchs und die Ziege.
Die Versammlung hörte diesen Vorträgen mit größter Aufmerksamkeit zu, mir aber war es sehr lieb, als sie zu Ende waren und wir uns zur Ruhe begeben konnten. Zu diesem Zweck führte uns der Bey in eine große Stube, an deren Wänden rundum Diwans standen, welche uns zum Lager dienen sollten. Da in diesem Raume gar nichts Merkwürdiges zu bemerken war, so wunderte ich mich über die gespannten Blicke, mit denen der Bey uns beobachtete. Es waren ganz die Blicke eines Menschen, welcher erwartet, daß man bei ihm eine außerordentliche Entdeckung machen und bewundern werde. Endlich erkannte ich aus der so oft wiederkehrenden Richtung seiner Augen den Gegenstand, den wir entdecken und bewundern sollten, und natürlich brach ich sofort in das größtmögliche Erstaunen aus:
»Was ist das! Oh, Bey, mit welch einem großen Reichthum hat Allah Dich gesegnet! Deine Schätze sind größer als diejenigen des Bey von Rewandoz oder des Beherrschers von Dschulamerik!«
»Was meinst Du, Emir?« frug er mit einer gewissen Koketterie.
»Ich meine das kostbare Dscham, mit welchem Du Deinen Palast geschmückt hast.«
»Ja, es ist sehr selten und theuer,« antwortete er mit stolzer Bescheidenheit.
»Von wem hast Du es?«
»Ich kaufte es von einem Israel, der es aus Mossul brachte, um es dem Schah von Persien zu verehren.«
Es wäre unhöflich gewesen, nach dem Preise zu fragen. Der Jude hatte das Märchen vom persischen Schah erfunden und den Bey jedenfalls ganz tüchtig geprellt. Das Glas war nämlich ein kleines Stück einer zerbrochenen Fensterscheibe und hatte die Größe von kaum zwei Mannshänden. Es war als der größte Schmuck des Zimmers an das geölte Papier des Fensters geklebt worden und ließ den Raum nun allerdings über alle Nebenbuhlerschaft erhaben erscheinen. Der Bey wünschte uns eine gute Nacht in dem Bewußtsein, uns mit diesem Fenster außerordentlich imponirt zu haben.
Wir waren müde und sehnten uns nach Ruhe, die wir nun in vollkommener Sicherheit genießen konnten.
So endete unsere Reise von Amadijah nach Gumri.
Und nun lege ich einstweilen die Feder weg, mit dem Vorbehalte, ein anderes Mal den geneigten Lesern des ›Deutschen Hausschatzes‹ meine ferneren Erlebnisse in Kurdistan zu erzählen.
Wir schliefen gut im Hause des Bey von Gumri.
Am andern Morgen weckte uns der Bey in eigener Person mit den Worten:
»Emir, erhebet Euch, wenn Ihr wirklich mit nach Mia wollt! Wir werden sehr bald aufbrechen.«
Da wir nach dortiger
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