Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
seinen beiden Verwandten nur Freunde gefunden?«
»Du hast Dir ihre Freundschaft und auch die meinige sehr reichlich verdient. Wir aber haben Dir mit Undank vergolten. Willst Du mir verzeihen? Ich wußte nicht, daß Du es warst.«
»Verzeihe auch Du mir! Es hat Einer von Deinen Leuten sein Leben eingebüßt; aber wir tragen keine Schuld daran.«
»Erzähle mir, wie es zugegangen ist!«
Ich gab ihm einen ausführlichen Bericht und frug ihn dann, ob hier ein Grund zur Blutrache vorliege.
»Nach der Sitte dieses Landes muß er allerdings den Tod seines Vaters rächen, wenn er sich nicht die Verachtung Aller erwerben will.«
»Es wird ihm wohl schwer gelingen!«
»Du bist mein Gast, und so lange Du Dich bei mir und in meinem Lande befindest, bist Du vollständig sicher. Aber er wird Dir später folgen auf Schritt und Tritt, auch wenn Du bis an das Ende der Erde gehen wolltest.«
»Ich fürchte ihn nicht.«
»Du magst stark genug sein, um ihn im offenen Kampfe zu überwinden; dann aber würden neue Rächer erstehen. Und kannst Du Dich gegen eine Kugel wehren, die aus dem Verborgenen abgeschossen wird? Willst Du nicht den Preis bezahlen?«
»Nein!« antwortete ich mit Nachdruck.
»Allah gab Dir vielen Muth, einen Rächer zu verachten. Ich werde dafür sorgen, daß dieser Muth Dich nicht in das Verderben bringt – Du warst bei dem Vater meines Weibes in Spandareh?«
»Ich war sein Gast und wurde sein Freund.«
»Ich weiß es. Wärest Du nicht sein Freund, so hätte er Dir nicht das Geschenk für uns anvertraut. Allah hat Wohlgefallen an Dir, denn er läßt Dich überall Freunde finden.«
»Allah gibt Gutes und Böses; er erfreut die Seinen und betrübt sie auch zuweilen, um sie zu prüfen. Ich habe auch Feinde in Amadijah gefunden.«
»Wer war Dein Feind? Der Mutesselim?«
»Dieser war mir weder Freund noch Feind; er fürchtete mich. Aber es kam ein Mann zu ihm, der mich haßte und die Schuld trug, daß ich sogar gefangen genommen werden sollte.«
»Wer war es?«
»Der Makredsch von Mossul.«
»Der Makredsch?« frug der Bey sehr aufmerksam. »Er ist ein Feind der Kurden; er ist ein Feind aller Menschen. Was wollte er in Amadijah?«
»Er befand sich auf der Flucht nach Persien; denn der Anadoli Kasi Askeri ist gekommen, um ihn und den Mutessarif von Mossul abzusetzen.«
Diese Kunde erregte die allergrößte Überraschung bei dem Bey. Er theilte die Neuigkeit sofort den Seinigen mit, von denen sie mit demselben Erstaunen aufgenommen wurde. Ich mußte Alles sehr ausführlich erzählen.
»So wird der Mutesselim wohl auch abgesetzt?« frug der Bey.
»Das kann man nicht wissen. Er war der Kerkermeister des Mutessarif, der einen Jeden, der aus Mossul verschwinden sollte, nach Amadijah sandte.«
»Doch wohl nur Verbrecher?«
»Nein. Hast Du nicht gehört von Amad el Ghandur, dem Sohne des Scheik der Haddedihn?«
»Ist auch er gefangen genommen und nach Amadijah geschickt worden?«
»Ja. Er hat nichts von ihrer Hinterlist geahnt.«
»Dann ist es ihm zu gönnen.«
»Warum? Sind die Araber nicht Feinde der Kurden?«
»Sie sind freie Männer, die Türken aber sind Betrüger und Verräther. Wäre ich ein Haddedihn, so zöge ich nach Amadijah, um den Sohn meines Scheik zu befreien.«
»Bey, das ist eine schwere Sache!«
»Und dennoch würde ich es thun. Die List ist oft eine bessere Waffe als die Gewalt.«
»So wisse denn, daß es einen Haddedihn gibt, welcher nach Amadijah gegangen ist.«
»Einen Einzigen?«
Ich bejahte es.
»So kann ihm nichts gelingen,« meinte der Bey. »Zu einem solchen Werke gehören Viele.«
»Und dennoch ist es ihm gelungen,« entgegnete ich.
»Tu katischt nezani – was Du nicht weißt! Er hat den Sohn des Scheik wirklich befreit? Durch List oder Gewalt?«
»Durch List.«
»So ist er ein tapferer und entschlossener, aber auch ein kluger Mann gewesen. War er ein einfacher Krieger?«
»Nein. Es war der Scheik Mohammed Emin selbst.«
»Chodih, Du berichtest mir ein Wunder! Aber ich glaube es, weil Du es sagest. Werden sie unangefochten nach ihren Weideplätzen kommen?«
»Das weiß nur Allah und Du.«
»Ich? Wie meinst Du das?«
»Ja, Du. Ich habe gehört, daß sie sich nicht nach Westen, sondern in das Land Berwari wenden werden, um den Zab zu erreichen und auf ihm hinab zu fahren.«
»Emir, das ist ein großes Abenteuer. Die beiden Helden sollten mir willkommen sein, wenn sie zu mir kämen. Wann ist die Flucht gelungen?«
»In der Nacht vor gestern.«
»Woher
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