Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
gab es hier gar nicht. Höchstens sah man in der Nähe eines einsamen Weilers ein wenig Gerste ihren Halm erheben. Der Boden ist außerordentlich fruchtbar, aber die ewige Unsicherheit benimmt den Bewohnern die Lust, eine Ernte für ihre Feinde heranzuziehen.
Dagegen kamen wir an prächtigen Eichen- und Walnußwäldern vorüber, die hier in einer Kraft und Frische gediehen, wie sie sonst nicht häufig anzutreffen ist.
Wir hatten eine Vor- und Nachhut und wurden von dem Haupttrupp ringsum eingeschlossen. Mir zur Rechten ritt der Bey, und zur Linken der Melek. Dieser aber sprach nur wenig; er hielt sich bei uns jedenfalls nur des Bey’s wegen auf, welcher ein sehr kostbarer Fang für ihn war, und den er nicht aus dem Auge lassen wollte.
Höchstens eine halbe Stunde hatten wir noch bis Lizan zu reiten, als uns ein Mann entgegenkam, dessen Gestalt sofort in die Augen fallen mußte. Er war von einem wirklich riesigen Körperbau, und auch sein kurdisches Pferd gehörte zu den stärksten, welchee ich jemals gesehen hatte. Bekleidet war er nur mit weiten Kattunhosen und einer Jacke aus demselben leichten Stoffe. Ein Tuch bedeckte anstatt des Turbans oder der Mütze seinen Kopf, und als Waffe diente ihm eine alte Büchse, welche jedenfalls nicht orientalischen Ursprunges war. Hinter ihm ritten in ehrerbietiger Entfernung zwei Männer, die im dienstlichen Verhältnisse zu ihm zu stehen schienen.
Er ließ die Vorhut an sich vorüber und hielt dann bei dem Melek an.
»Sabbah’l ker – guten Morgen!« grüßte er mit volltönender Baßstimme.
»Sabbah’l ker!« antwortete ihm auch der Melek.
»Deine Boten,« fuhr der Ankömmling fort, »sagten mir, daß Ihr einen großen Sieg errungen habt.«
»Katera Chodeh – Gott sei Dank, es ist so!«
»Wo sind Deine Gefangenen?«
Der Melek deutete auf uns, und der Andere musterte uns mit finstern Blicken. Dann frug er:
»Welcher ist der Bey von Gumri?«
»Dieser.«
»So!« sagte gedehnt der Riese. »Also dieser Mann ist der Sohn des Würgers unserer Leute, der sich Abd-el-Summit-Bey nannte? Gott sei Dank, daß Du ihn gefangen hast! Er wird die Sünden seines Vaters zu tragen haben.«
Der Bey hörte diese Worte, ohne sie einer Entgegnung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für gerathen, diesem Manne eine falsche Vorstellung von uns zu lassen.
Nun wandte ich mich an den Anführer mit der Frage:
»Melek, wer ist dieser Bekannte von Dir?«
»Es ist der Raïs von Schuhrd.«
»Und wie heißt er?«
»Nedschir-Bey.«
Das Kurmangdschi-Wort Nedschir bedeutet: ›tapferer Jäger‹, und da sich der Riese zugleich den für einen Chaldäer so ungewöhnlichen Titel ›Bey‹ zugelegt hatte, so war sehr leicht zu errathen, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß besitzen müsse. Dennoch aber sagte ich ihm:
»Nedschir-Bey, der Melek hat Dir die Wahrheit nicht vollständig gesagt. Wir sind – –«
»Hund!« unterbrach er mich drohend. »Wer redet mit Dir? Schweige, bis Du gefragt wirst!«
Ich lächelte ihm sehr freundlich in die Augen, zog aber dabei mein Messer recht auffällig aus dem Gürtel.
»Wer gibt Dir die Erlaubniß, die Gäste des Melek Hunde zu nennen?« frug ich ihn.
»Gäste?« sagte er verächtlich. »Hat der Melek nicht so eben Euch seine Gefangenen genannt?«
»Eben darum wollte ich Dir sagen, daß er Dir die Wahrheit nicht vollständig mitgetheilt hat. Frage ihn, ob wir seine Gäste oder seine Gefangenen sind.«
»Seid, was Ihr wollt; gefangen hat er Euch dennoch. Aber stecke Dein Messer in den Gürtel, sonst schlage ich Dich vom Pferde!«
»Nedschir-Bey, Du bist ein sehr spaßhafter Mann; ich aber bin sehr ernst gestimmt. Sei in Zukunft höflich gegen uns, sonst wird es sich zeigen, wer den Andern vom Pferde schlägt!«
»Hund und abermals Hund! Da hast Du es!«
Bei diesen Worten erhob er die Faust und versuchte, sein Pferd an das meinige zu drängen; aber der Melek hielt ihn bei dem Arme fest und rief:
»Beim heiligen Jesujabos, halte ein, sonst bist Du verloren!«
»Ich?« rief der Riese ganz verdutzt.
»Ja, Du!«
»Warum?«
»Dieser fremde Krieger ist kein Kurde, sondern ein Emir aus dem Abendlande. Er hat die Kraft des Bären in der Faust und er trägt Waffen bei sich, denen Niemand widerstehen kann. Er ist mein Gast; sei fortan freundlich mit ihm und den Seinigen!«
Der Raïs schüttelte den Kopf.
»Ich fürchte keinen Kurden und keinen Abendländer. Weil er Dein Gast ist, so will ich ihm verzeihen; aber er mag sich in Acht nehmen vor mir,
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