Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
zurück. Diese Drei waren mit ihrer Arbeit fast zu Ende, und wenn sie sich erhoben, so konnte ich sehr leicht von ihnen bemerkt werden.
Also ich war dumm, der Dümmste von uns Allen! Ich mußte dieses erfreuliche Kompliment leider hinnehmen, ohne es jetzt erwiedern zu können. Am meisten machte mir der Umstand zu schaffen, daß bereits um Mittag aufgebrochen werden solle. Bis dahin also mußten die Haddedihn frei sein. Aber auf welche Weise?
Jetzt erhoben sich die drei Männer; ich hatte mich also gar nicht zu früh entfernt. Derjenige, welcher sich für einen Dschiaf ausgegeben hatte, sagte: »Geht! Ich werde erst nach den Pferden sehen.«
Ihm folgte ich von Weitem. Er führte mich, freilich ohne sein Wissen, nach einer Bodensenkung, auf deren Sohle ein Wässerchen floß. Hier waren über achtzig Pferde an die Stämme der Bäume und Sträucher gebunden, und zwar in je einer solchen Entfernung, daß sie genug Grünes fanden, ohne sich nahe kommen zu können. Der Platz war hell und sonnig, und vom ersten bis zum letzten Pferde hatte man vielleicht achthundert Schritte zu gehen.
Ich konnte von oben Alles genau betrachten. Es waren ganz prachtvolle Pferde da, und im Geiste las ich mir schon die sechs besten aus. Am meisten befriedigte es mich, daß nur ein einziger Kurde die Aufsicht über die Thiere hatte. Es war gar nicht schwer, ihn zu überwältigen.
Mein unfreiwilliger Führer machte sich mit einem Braunblässen zu schaffen, der vielleicht das beste Pferd des ganzen Trupps war. Jedenfalls war er der Herr desselben, und ich beschloß, ihm um seines liebenswürdigen Complimentes willen Gelegenheit zu geben, auf seinen eigenen Beinen nach Hause zu reiten.
Er sprach einige Worte mit der Wache und ging dann dem Lager zu. Ich folgte ihm auch jetzt und hatte nun die Überzeugung, daß mir in der weiteren Umgebung des Lagers kein Mensch mehr begegnen würde. Ich konnte mich also in die unmittelbare Nähe desselben wagen.
Nach einer sorgfältigen und sehr langsamen Rekognoscirung hatte ich sechzehn Hütten gezählt, welche unter den Bäumen eine Art von Halbkreis bildeten. In der größten Hütte wohnte jedenfalls Scheik Gasahl Gaboya, denn sie war an ihrer Spitze mit einem alten Turbantuche geschmückt. Sie stand auf dem innersten Punkte des Halbkreises, so daß ich ihr leicht nahe kommen konnte, und neben ihr erhob sich diejenige, in welcher sich die Gefangenen befanden; denn vor derselben saßen zwei Kurden, mit den Gewehren im Arme.
Jetzt konnte ich zu Halef zurückkehren. Er saß noch auf dem Baume, von dem er nun herabstieg. Ich setzte ihm meinen freilich sehr kühnen und gefährlichen Befreiungsplan auseinander, dann versteckten wir uns an einem Platz, wo wir den Weg überblicken konnten. Und mit Ungeduld warteten wir auf die Zeit des Handelns. Ein solches Warten hat stets etwas Aufregendes, Verzehrendes, während der Augenblick der That die Nerven kalt und ruhig macht.
Gegen zwei Stunden waren vergangen, da sahen wir ganz unten einen einzelnen Reiter erscheinen.
»Dieser wird die Ankunft verkünden sollen,« meinte Halef.
»Möglich. Hast Du die hohe Eiche gesehen oberhalb der Einsenkung, in welcher sich die Pferde befinden?«
»Ja, Sihdi.«
»Schleiche Dich jetzt hin, und erwarte mich dort. Ich muß hören, was dieser Reiter zu sagen hat. Hier, nimm Dojan mit. Ich kann ihn jetzt nicht brauchen. Auch die Gewehre nimm zu Dir!«
Er nahm den Hund und entfernte sich; ich aber beeilte mich, dem Zelte des Scheik so nahe zu kommen, daß ich hören konnte, was gesprochen wurde. Es gelang mir, so weit dies möglich war. Kaum hatte ich hinter einem Baumstamme Posto gefaßt, so kam der Reiter herangaloppirt. Er sprang vom Pferde.
»Wo ist der Scheik?« hörte ich ihn fragen.
»Dort in seinem Zelte!«
Gasahl Gaboya trat heraus und ihm entgegen.
»Was bringst Du?«
»Die Krieger werden gleich erscheinen.«
»So habt Ihr keinen der Entronnenen gesehen?«
»Keinen.«
»Ihr habt die Augen geschlossen gehalten.«
»Wir haben gewacht die ganze Nacht und bis jetzt. Wir haben alle Seitenthäler besetzt, aber Niemand gesehen.«
»Jetzt kommen sie!« rief es draußen vor dem Lager.
Auf diesen Ruf eilte Alles hinaus auf die Lichtung; sogar die beiden Wächter schlossen sich an. Sie wußten ihre Gefangenen ja gefesselt!
Die Gelegenheit war günstiger, als ich gehofft hatte. Mit einem Sprunge stand ich hinter dem Zelte der Gefangenen – zwei Messerschnitte, und ich befand mich in dem Innern desselben. Da lagen sie
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